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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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standen Frank und Ivo rauchend und in ein Gespräch vertieft, das, wie es aussah, ernst sein musste.
    – Du siehst, die Herren wollen unter sich sein. Jan wird nachkommen, er musste noch mal in den Verlag, teilte Leni mitleidlos mit und knetete weiter ihren Teig.
    – Hast du den Gouda mitgebracht? Ivo erzählt, man bekomme in den Staaten keinen gescheiten Käse, rief Tulja euphorisch.
    – Ach, der Arme kann einem ja leidtun, kommentierte Leni spöttisch, woraufhin sie von Tulja beleidigt angesehen wurde, was Leni schlagartig zum Verstummen brachte.
    – Er ist ja ein schöner Mann, ließ sich auf einmal Hanna aus ihrer Raucherecke vernehmen, und alle drehten sich zu ihr um; sie schaute nachdenklich in den Garten, zu den Männern unter dem Baum.
    Niemand sagte mehr etwas. Tulja plante die verschiedenen Gänge, Leni war mit ihrem Kuchen beschäftigt, und ich übernahm die Kinderbetreuung und verschwand mit Anton auf dem Arm in den Garten. Die Jungs hatten sich im Baumhaus verschanzt, das Vater vor so vielen Jahren für uns gebaut hatte und das noch immer dem rauen Küstenwetter standhielt. Theo verscheuchte mich recht schnell. Ich versicherte mich, dass Leni nicht zu uns hinübersah, und setzte Anton vorsichtig auf den Boden. Er krabbelte sofort los, versuchte aufzustehen, fiel wieder hin und rappelte sich tapfer wieder auf. Frank und Ivo standen immer noch unter dem Apfelbaum. Frank machte mir mit der Hand ein Zeichen, zu ihnen herüberzukommen. Ich nahm Anton an der Hand und ging zum Apfelbaum. Ivo küsste mich auf die Wange und behielt meine rechte Hand in seiner.
    – Wir haben ein wenig geplaudert, sagte Vater und lächelte mich wieder auf seine merkwürdige Weise an. Ich kannte diesen Grund, wir drei kannten ihn. Aber wir taten so, als würden wir ihn nicht kennen. Der Blick beinhaltete immer dieses Wissen um etwas, was man lieber vergessen sollte. Aber vielleicht war das auch nur meine Einbildung, weil ich – sobald Ivo, Vater und ich zu dritt waren – nicht anders konnte, als an die Vergangenheit zu denken, an das, was geschehen war, an das, was ich so gern vergessen würde.
    – Es ist schön hier. Es ist nach wie vor wunderschön hier, sagte Ivo und sah mich an. Dann tätschelte er Anton und fragte, ob er uns in der Küche helfen könne.
    Frank ließ uns stehen. Ivo und ich schwiegen und sahen in die Ferne, hörten das Meer.
    – Du siehst gut aus, Stella.
    – Danke.
    Dann schwiegen wir.
    Ich nahm den Faden wieder auf:
    – Das traute Familienglück, nicht wahr, du hast es vermisst.
    – Jetzt sei nicht ungerecht.
    – Bin ich nicht.
    – Bist du doch. Es ist doch schön, hier zu sein, alle wiederzusehen. Frank, Leni, Tulja. Die Kinder, die ich nicht kenne. Dich.
    – Du hättest uns immer besuchen können, das weißt du.
    – Das hätte ich nicht.
    Ich sagte nichts mehr. Ich fühlte mich miserabel, in das alte Familien- und Rollenmuster gepresst, hier, unter dem Baum, die Kindergeräusche um uns – und es hätten unsere eigenen Stimmen sein können, als wenn die Zeit von einer Sekunde zur anderen um Jahrzehnte zurückgedreht worden wäre.
    Der Wind frischte auf, ich nahm Ivos Geruch wahr. Er drang mit einer absurden Vehemenz in meine Nase, und ich musste kurz Antons Hand loslassen, weil ich zu taumeln begann. Ivos Geruch war unverändert: blumig und streng auf eine eigenwillige, fast schon menschenfremde Art, als entstamme er einer verschollenen Pflanze, einem unbekannten Gewürz – ein giftiger und dadurch erst so verführerischer Geruch. Ich nahm Anton wieder an der Hand und trat ein paar Schritte zurück. Es war unmöglich, dass Ivo sich fremd anfühlte, ganz egal, wie sehr ich mich darum bemühte, es so zu empfinden.
    Ich schaute ihn an, und die Trauer um ihn, um uns, machte mich ganz klein.
    Jemand rief nach mir. Es war Tulja, die die Tüte mit dem Käse nicht fand, und ich taumelte Richtung Haus, einen protestierenden und jammernden Anton hinter mir herziehend.
    Ich erinnere mich an einen recht gemütlichen Abend: Wir aßen Tuljas Braten, Lenis Apfelkuchen, die Kinder stritten sich ungewöhnlich wenig, auch als sie ins Bett mussten, gab es keinen sonderlichen Protest. Anton schlief ohne seine Brülltyrannei ein, und Frank hielt sich mit dem Alkohol zurück. Unangenehme Themen wurden ausgespart.
    Ich bin heute überzeugt, dass es an Ivo lag, an seiner Präsenz, an den unterhaltsamen Geschichten des Weltgereisten, an seiner guten Laune, an seinem Charme, mit dem er uns um den Finger wickelte.

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