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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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war, ihm zu sagen, was in mir vorging. Vielleicht war es die intuitive Trauer über all das Einfache und Elementare, das wir aufgaben, indem wir so voreinander saßen und ich anfing, seinen Körper anzusehen. Vielleicht.
    Er bemerkte meine Trauer und streichelte meine Schultern. Er hatte aufgehört zu grinsen und wartete nun, dass ich mein Gesicht ihm wieder zuwendete.
    – In wen denn? Komm sag schon, scherzte er und biss in einen Apfel.
    – In dich, sagte ich leise und sah ihn an. Er verschluckte sich oder tat so, um ein, zwei Sekunden Denkpause zu bekommen, und legte den Apfel aufs Handtuch.
    – Stella.
    Er suchte nach Worten und rückte unwillkürlich ein wenig ab. Ich verspürte jedoch eine gewisse Erleichterung und sah zum Himmel, der sich verfinstert hatte. Man hörte die Fischerboote am Steg in aufeinander abgestimmtem Rhythmus hin und her schaukeln.
    – Ja, bestätigte ich und merkte, dass dieses Wort mir wider Erwarten Kraft gab und mich auf einen autonomen, unerreichbaren Stern katapultierte. Dann rollte ich mich auf die Seite und streckte mich aus. Er blickte aufs Wasser und spielte an seinen Fingern herum.
    – Das geht nicht, sagte er und sah mich an. Sein Blick war düster, und seine Iris war fast gänzlich verschwunden.
    – Warum?, fragte ich und setzte mich wieder auf. Es war unheimlich, wenn er so auf mich niedersah.
    – Weil es nicht geht. Du bist doch nicht blöd.
    – Geht es nicht, weil du, na ja, weil, wegen der Familie, oder geht es nicht, weil du nicht das Gleiche empfindest?
    – Wegen beidem.
    Ich schrak auf, meine neu erworbene Kraft verwandelte sich schlagartig in eine Angst, die mir den Atem raubte. Ich begann an meinen Fingern zu kauen. Doch wollte ich nicht aufgeben, ich glaubte ihm nicht und wollte meine Kraft nicht ohne eine Prüfung preisgeben.
    Ich zog mich aus. Ich knüpfte die Schleife meines Kleides auf, und obwohl Ivo mich schon mehrfach beim An- und Ausziehen beobachtet hatte, obwohl wir schon mehrfach nackt ins Wasser gerannt waren, wusste ich, dass das bloße Aussprechen meiner Liebeserklärung das Ganze in ein völlig anderes Geschehen verwandelt hatte.
    Ich zog das Kleid über den Kopf, legte es beiseite. Ivo sah mir irritiert zu, noch unentschieden, wie er sich verhalten sollte, doch sah er zu, er sah mich an, er sah meinen Körper an, der sich von einem Augenblick auf den anderen in einen Körper verwandelt hatte.
    – Was tust du?, fragte er unsicher und ging in die Hocke, als wolle er sich für alles wappnen, was kommen würde.
    Ich hakte meinen BH auf, noch ungeübt in der Bewegung, sie war nicht so lasziv, so selbstverständlich. Aber ich gab mir Mühe und verhedderte mich nicht; recht schnell saß ich mit entblößten Brüsten vor ihm und war dabei, meinen Slip auszuziehen. In dem Moment umklammerte er mein Handgelenk und verdrehte mir die Hand. Er sah mich an. Und da beugte ich mich vor und küsste ihn. Er schmeckte so, wie ich es mir vorgestellt hatte: nach Salz, nach Äpfeln und nach Leben. Immer wenn ich Ivo küssen wollte, war es dieser Geschmack, der die Vorfreude auf den Kuss steigerte.
    Er erwiderte den Kuss, fuhr dann mit der Hand, mit der er mich umklammert hatte, über meinen Ellenbogen zum Schlüsselbein hoch und verharrte mit seinen Fingern an meinem Hals. Ich küsste ihn erneut, er schubste mich in den Sand und stürzte sich auf mich. Ich weiß nicht, ob Ivo vor mir viele Mädchen gehabt hatte; er hat es mir nie verraten. Damals war er äußerst beliebt bei den Schulmädchen, doch er war ihnen zu seltsam, als dass sie ernsthaft seine Nähe gesucht hätten. Aber er war reif, reifer als ich, reif in seinem Willen, in seinem Anspruch auf meinen Körper. Dann lag er über mir, und ich breitete meine Beine aus, und in dem Moment sprang er hoch und wandte sich ab und rannte los. Er rannte ins Wasser, und so lag ich da, allein, mit einem Brennen zwischen meinen Beinen und einer unermesslichen Leere in meinem Bauch. Es fühlte sich an, als würde ich von innen verbrennen, ich krümmte mich zusammen und fing an zu schreien. Ich schrie so laut, dass das Echo meiner Stimme meinen Ohren wehtat. Ich schrie und schlug mir immer wieder gegen den Bauch, ich wollte, dass das Brennen aufhörte.
    Als er zurückkam, saß ich angezogen, hielt meine Knie umarmt und kaute an einem Apfel. Die Minuten, die er im Meer verschwunden war, hatten mich verändert. Ich war erwachsen geworden; schlagartig, schnell und ohne Vorwarnung.
    – Es geht nicht, sagte er. Er war nackt,

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