Mein Sanfter Zwilling
und sein Penis hing schlaff vom kalten Wasser zwischen seinen Beinen. Er legte sich das Handtuch um und setzte sich neben mich.
– Na gut, dann eben nicht, sagte ich und stand auf.
– Ich gehe.
– Hey, warte, Stella. Warte!
Ich war schon aufgestanden und marschierte los. Er rief meinen Namen, aber ich drehte mich nicht mehr um.
Zwei Wochen später ging ich zu Harry und presste meinen Schoß an seinen Hintern, als er über ein Motorboot gebeugt irgendetwas reparierte. Meine Lust an der Vergeltung stillte ich in jener Nacht, als ich durch sein Fenster in sein Zimmer kletterte.
Ivo erfuhr es nur ein paar Tage später. Ich hatte es einem Mädchen aus dem Dorf erzählt, das ich hasste, weil es sich an Ivo ranmachte, und das mich hasste, weil ich Ivos Aufmerksamkeit raubte. Natürlich wusste ich, dass sie es ihm sagen würde, und natürlich wusste er, warum ich es getan hatte.
Tulja sagte immer, dass, wenn wir lieben, wir nie den Mann, die Frau, das Kind, die Mutter oder den Vater, den Bruder allein lieben. Dass wir immer alles und alle zugleich in einer Person lieben wollen. Dass die Kategorisierung der Liebe eine dekadente Sucht unserer Zeit sei, allen Gefühlen eine Struktur zu verleihen. Sie sagte, dass wir immer alles von dem einen Menschen brauchen, den wir lieben. Dass wir uns immer danach sehnen, all die Personen in einer zu vereinen, und dass die Sehnsucht die Liebe letztlich immer in den Schatten stellt. Weil wir eben nie alles sein können, niemals gleichzeitig. Aber die Liebe, in ihrem Wesen, strebe die Vielfalt, die Vereinigung all dessen in uns an, was wir bereits in uns tragen. Tulja meinte, dass solch eine Liebe möglich gewesen wäre, wenn wir nicht Systeme und Gesellschaften aufgebaut hätten, wenn wir das Elementare in uns bewahrt hätten, aber … Tulja hat vieles gesagt.
Vielleicht gleicht die Liebe tatsächlich der Anarchie?
Vielleicht habe ich nie das Leben gelebt, das ich hätte leben müssen?
Vielleicht hat Ivo sich sein Leben von uns allen borgen müssen?
Vielleicht weiß ich wirklich nicht, wer ich bin?
Vielleicht werde ich erst jetzt die Antworten finden, jetzt, Lichtjahre von dem entfernt, was ich so lange als mein Leben bezeichnet habe.
Ich blicke auf die Gegenwart, die leer ist und die nichts verspricht. Aber ich weiß, dass nur sie mir die Antworten liefern kann, für das Vergangene und vielleicht auch für das Kommende.
Es gibt drei Tage in meinem Leben, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin. Der erste Tag war der verregnete Nachmittag, als Ivos Vater unerwartet nach Hause kam, der zweite Tag war jener Tag am Strand mit Ivo, und der dritte Tag war die Geburt meines Sohnes, und obwohl der dritte Tag nichts mit Ivo zu tun hatte, fragte mich die Krankenschwester, die mir Theo an die Brust legte, nachdem ich aus meiner Erschöpfung erwacht war und meinen blutigen Sohn sah, wer Ivo sei. In meinen Schmerzen hatte ich wohl seinen Namen gerufen. Sie ging davon aus, dass es sich um den Vater des Kindes handelte. Ich habe nicht widersprochen.
8.
Wir hatten zum Mittagessen Platz genommen, und ich versuchte so gut es ging, mich aus der Unterhaltung herauszuhalten. Theo saß auf dem Schoß seiner Großmutter und knabberte an seinen Fischstäbchen, die es extra für ihn gab. Mark und sein Vater waren in ein Gespräch verstrickt, diskutierten die politischen Themen der Woche. Die kaum versteckte Bemühtheit, mit der man hier bei Tisch das sogenannte Wichtige zur Sprache bringen musste, ging mir auf die Nerven. Marks Vater war ein pensionierter Professor für Geschichte und Politik, seine Mutter eine angesehene Psychologin mit eigener Praxis. Sie bezeichneten sich als freigeistig, gehobenes Bildungsbürgertum eben, ein Haus in Blankenese, zwei Patenkinder in Nigeria und Guatemala; man kochte gern indisch.
Marks Mutter war nach wie vor damit beschäftigt, Fehler an mir zu suchen, die auf ihren Sohn hätten abfärben können. Ich sah es als eine Art deformation professionelle , als ihre Berufskrankheit, und hatte mich damit abgefunden. Mark war das einzige Kind, Theo der einzige Enkel, und sie vergötterten und verhätschelten beide auf schier unerträgliche Weise.
Ich verspürte plötzlich den unbändigen Wunsch nach einer Zigarette. Ich konnte mich genauestens erinnern, wann ich das letzte Mal geraucht hatte: Während der Schwangerschaft überkam es mich so stark, dass ich nachts zur Tankstelle marschieren und mir dann an einer Straßenecke heimlich eine Zigarette anzünden
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