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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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so fremd. Und dann, dann hat Ivo mir gesagt, meine Nase sei die schönste Nase der Welt.
    Und nun sah ich mein Gesicht und fragte mich, wohin diese Augen blickten, in welche Zukunft, wieso meine Lippen so leblos und steif aneinandergepresst waren, wieso ich so blass war, blasser als gewöhnlich. Wieso meine Haare, dick, dunkel und schulterlang, so schlaff an meinem Hals herabhingen.
    Ich sah mich an, und ich wusste nicht, wen ich da sah.
    Theo durfte übers Wochenende bei seinen Großeltern bleiben, Mark und ich fuhren mit seinem Geländewagen an der Elbe entlang zurück. Unterwegs schlug er vor, den kinderfreien Abend zu nutzen und noch einen trinken zu gehen. Verloren, wie ich war, willigte ich dankbar ein.
    Wir gingen in die Bar des Atlantic, dort gab es gute Cocktails. Ich blieb beim Martini. Die vornehme Atmosphäre des Ortes, die so gut zu Marks lässiger und doch eleganter Kleidung passte, bedrückte mich auf merkwürdige Weise. Wir waren nicht zum ersten Mal in dieser Bar. Mark und ich hatten früher die Abendstunden mit jazziger Musik immer genossen. Doch diesmal stimmte der Ort nicht mehr, obwohl ich genau wusste, dass ich es war, die nicht mehr stimmte.
    Mark redete auf mich ein. Ich versuchte ihm zuzuhören und blickte in mein Glas.
    – Stella?
    – Hm?
    – Hörst du mir eigentlich zu? Was ist bloß mit dir? Komm her, komm.
    Er war leicht betrunken. Er wurde dann immer körperlich. Er legte den Arm um meine Schulter und presste meinen Kopf an seinen Hals. Ich versteifte mich.
    – Warum sagst du nichts?
    – Ich bin nur nachdenklich.
    Er bestellte sich noch einen Whisky, ich spürte seine Enttäuschung, er war enttäuscht von mir, von meiner Distanz. Nach dem Besuch bei seinen Eltern befand er sich immer in einer seltsamen Euphorie, durch meine Ablehnung, meine Nichtverfügbarkeit, drohte diese Hochstimmung jetzt abzustürzen. Mark trank, er trank sich Mut an und verschaffte sich damit die Illusion, gänzlich im Moment zu sein und nicht über Unangenehmes nachdenken zu müssen, und sei es auch nur, wie wir nach Hause kommen sollten.
    Ich trank mein Glas aus und vermied, ihn anzuschauen.
    – Ich glaube, es ist nicht richtig, sagte ich und wunderte mich über die Entschlossenheit, die auf einmal in meiner Stimme lag. Ich hatte nicht beschlossen zu reden, ich hatte nur einen starken Impuls gespürt und versuchte nicht mehr dagegen anzugehen.
    – Was ist nicht richtig?
    Mark stellte sein Glas ab und fixierte mich.
    – Alles, wie ich lebe, wie ich gerade bin.
    – Was soll das jetzt?
    – Ich will es dir erklären. Gib mir Zeit. Es ist nicht einfach, und vieles erfasse ich nur vom Gefühl her, es sind keine klaren Argumente, vieles ist nicht mal mir selber klar.
    – Okay, okay. Ich hör dir ja zu.
    Er war ungeduldig, die Wendung, die das Gespräch zu nehmen drohte, war ihm sichtlich unangenehm; vielleicht machte er sich auf einen Monolog über meine Gefühlsschwankungen gefasst und wappnete sich bereits dagegen, indem er schneller trank. Mein innerer Widerstand wuchs, ich spürte Wut in mir aufkommen und leerte mein Glas, statt etwas zu sagen. Dann nahm ich einen zweiten Anlauf:
    – Ich hatte geglaubt, es lernen zu können, ich meine, das Leben, so wie wir es jetzt führen. Ich hatte geglaubt, dass es richtig ist. Ich meine, ich denke das nach wie vor, aber ich spüre, dass das Problem woanders liegt, jenseits von richtig und falsch. Jenseits von solchen Kriterien. Das Leben kennt nur sich selbst als Maßstab. Vieles gerät aus den Fugen. Die Tage rinnen mir durch die Finger, und ich weiß nicht mehr weiter.
    Mark sah mich an, und ich merkte, wie er versuchte, gegen seinen Unmut anzukämpfen; er sah weg, nahm noch einen Schluck und senkte dann den Kopf. Irgendwann berührte er mein Handgelenk, ein kleines Zeichen dafür, wie sehr er sich gerade Mühe gab, einen Weg zu mir, zu unserem Gespräch zurückzufinden.
    – Es ist, als sei alles nicht mehr real, als würde ich mich die ganze Zeit von außen betrachten und über mich lachen, weil …
    – Hey, hey, es ist alles gut, es wird alles gut. Ich versteh schon, dass es nicht immer leicht ist, Menschen wiederzutreffen, mit denen man früher was hatte. Ich meine, eure Situation ist halt einfach schwierig und vielleicht extrem, weil ihr halt … Was gewesen ist, ist gewesen. Es war ein Fehler, diese komische Verwicklung, aber es war ja kein Inzest oder so.
    Ich sah ihn an und verstand im selben Moment, dass er nichts von all dem, was ich gesagt hatte,

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