Mein Sanfter Zwilling
seinem Kampf war; und wie er schließlich nachgab und in meiner Hand einen kurzen, schmerzvollen Frieden fand.
Lange lagen wir schweigend nebeneinander. Dann setzte er sich auf und sah mich an. Ich lag da, nackt, noch benommen, versuchte meine Gedanken zu ordnen.
– Was wirst du tun?, fragte er mich und legte mir seinen Zeigefinger zwischen die Beine.
– Ich werde dir sagen, was du hören willst. Aber ich werde dir nicht folgen.
– Ich will nur, dass wir uns erinnern. Mehr will ich nicht.
– Wozu?
– Um aufzuhören, um diese Schlachten zu beenden. Mir gefällt es, wie du mich jetzt ansiehst, als wüsstest du mehr als ich, als wüsstest du alles, was ich nie wissen kann, nur weil du du bist.
Ich schob meine Beine auseinander und wartete, dass er sich auf mich legte.
– Aber mir gefällt nicht, dass du so viel vergessen hast, alles, was man nicht vergessen kann, oder so tust, als ob.
Er legte sich auf mich.
– Dass du dich an diese Schuld klammerst, dass du nicht loslässt, dir im Weg stehst. Es gibt noch ein paar Dinge, die wir zusammen herausfinden müssen. Weil es sonst keiner tun kann und will. Das weißt du.
Ich nahm ihn in mir auf, und es tat weh.
– Oder? Ich denke oft an den Nachmittag, Stella. Ich denke in letzter Zeit oft an meine Mutter und daran, dass es vielleicht nicht richtig gewesen ist, damals keine Fragen zu stellen.
Er wurde schneller, und ich beugte mich ein wenig vor, damit er mich ansehen musste, mich immer und immer wieder ansehen, wenn er mir wehtat.
Ich kam ihm entgegen, legte meine Faust unter meinen Rücken und stützte mich darauf.
– Ich habe ihn gesucht, meinen Scheißfrieden, aber irgendwie will er sich nie so wirklich einstellen. Und weißt du, was ich mich frage, Stella, soll ich es dir sagen?
Seine Stimme wurde zittrig und sein Atem kürzer.
– Ich frage mich, was dieser ganze Scheiß soll mit uns beiden. Warum um Gottes willen du es damals mit deinem klugen Köpfchen nicht vorausgesehen hast, dass wir früh ein Ende hätten finden müssen, zu Ende kämpfen, zu Ende sprechen, zu Ende ficken.
Er schlang seinen Arm fest um meinen Hals und drückte mich an sich. Ich befreite mich aus seiner Umarmung und stieß ihn zurück.
– Warum haben wir mittendrin unterbrochen, im Leben, in dem Scheißfick, warum haben wir ihn unterbrochen? Vielleicht hätten wir dann Frieden gefunden, wir hätten den Höhepunkt unseres Lebens gehabt, vielleicht, hä? Ich meine, vielleicht gäbe es dann diese beschissene Normalität, die ach so wertvoll für dich ist?! Wir hätten sie für uns haben können, diese Scheißnormalität!
Er presste mich gegen die Rückseite des Betts und schrie mir ins Gesicht, schrie, dass ich kein Recht gehabt hätte, sein Leben zu zerstören, erst alles zu nehmen, alles zu fordern und dann auszuweichen, zu verschwinden in meine Scheißnormalität; dass ich ihm die Ruhe geraubt und ihn heimatlos gemacht hätte, sich selbst ertrage er nicht mehr, und ich sei daran schuld, ich sei schuld. Ich mit meinem Getue und meiner Korrektheit, mit meiner Angst vor dem, was war. Dass es keinen Ersatz für eine Kindheit gebe, dass es keinen Ersatz für die Liebe gebe, keinen Ersatz für das Leben, das eigene Leben.
Und er drückte mich weiter gegen das Kopfteil des Betts, wieder schmerzte mein Rücken, so wie beim ersten Mal, als wir miteinander schliefen. Seine Wut machte ihn rücksichtsloser, und mein Körper stöhnte, keuchte und wälzte sich wie im Fieber, und doch, und doch gab ich nicht nach, spürte dabei sogar eine perverse Erleichterung, einen Punkt der absoluten Leere und Ehrlichkeit.
9.
Vielleicht hat es tatsächlich keinen Anfang gegeben für mich und Ivo. Vielleicht war genau das das Fatale jenes regnerischen und milden Nachmittags, an dem sein Vater unangemeldet heimkam. Dass uns das den Anfang genommen hatte, dass unser Anfang am Ende stattfand.
In meine Wohnung zurückgekehrt, duschte ich lange und legte mich ins Bett. Das Bett war ungemacht, und in der Küche standen leere Bierflaschen herum. Ich weiß nicht, wieso ich nicht in Panik ausbrach oder mich in Schuldgefühlen erging. Mark war nicht da. Theo war noch nicht heimgekommen; Mark würde ihn abends abholen. Dann würden wir ihm eine Gutenachtgeschichte vorlesen.
Ich schlief sofort ein. Vielleicht war der Punkt, an dem ich die Kontrolle aufgegeben hatte, an dem ich mich von meinem Leben abgewendet hatte, längst überschritten.
Ich fühlte eine betörende Leere in mir und schlief
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