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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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nie gehabt, sich auch als Erwachsener nie erlaubt hatte. Und ich war bereit, ihm diese kleine Portion Andersartigkeit und Freiheit abzugeben.
    Dass das für mein eigenes Leben eine Kehrtwendung bedeutete, ich lernen musste, nach Marks Richtig und Falsch zu leben, um all die Dinge zu tun, die ich nie getan hatte, war mir bewusst. Die Entscheidung für ein Leben mit Mark hatte ich bewusst getroffen. Ich hatte mich geradezu nach dieser Normalität gesehnt, nach Geradlinigkeit und Vorhersehbarkeit, ich sehnte mich nach Heilung, ich wusste, dass ich meinem Leben eine Wendung geben musste, um nicht gänzlich Opfer meiner Haltlosigkeit zu werden.
    Mark war die schicksalhafte Begegnung, auf die ich insgeheim gehofft hatte, er war der Leuchtturm, der Wegweiser in mein richtiges Leben.
    Mark nahm alles so hin, was ich ihm zu Beginn unserer Beziehung erst zögerlich und gefiltert, aber immer ein wenig zurechtgebogen als Wahrheit über mich und unsere Familie erzählte. Auch Ivo war Teil meiner Erzählungen, ich ließ ihn ab und zu ins Spiel kommen, sorgfältig darauf achtend, nicht allzu oft von ihm zu sprechen.
    Erst später brachte ich Mark bei, dass er mit einer Frau zusammenlebte, die ihre Vergangenheit mit einem Mann geteilt hatte, mit dem sie wie mit einem eigenen Bruder aufgewachsen war, mit dem sie eine Beziehung geführt hatte, die in allen Einzelheiten einer Grenzüberschreitung glich. Ich sagte ihm, dass ich das alles vergessen wollte, dass ich seine Hilfe dankend annahm. Er hatte genickt und mein Handgelenk geküsst. Verständnisvoll. Einsichtig.
    Als er mich irgendwann fragte, warum ich mich denn von Ivo getrennt hatte, antwortete ich ausweichend, dass wir uns als keine allzu gesunde Mischung herausgestellt, dass wir einander nicht immer gutgetan hatten. Ich antwortete auch, dass es mit der Dauer unmöglich war, gegen die Familie und all die anderen Menschen anzugehen, die unsere Bindung nicht unbedingt billigten. Auch da hatte er genickt.
    Irgendwann, als Theo schon geboren war, rückte ich in einem schwachen Moment damit heraus, warum Ivo in unsere Familie gekommen war, und seine Augen wurden sogar feucht, als er in einer windigen Nacht im Bett die Geschichte von Ivos Eltern erfuhr.
    Nur ein einziges Mal fragte er mich, ob es auch am Sex gelegen haben könnte, meine Abhängigkeit von Ivo. Ich sah ihn an und küsste ihn leicht auf die Lippen. Sein Versuch, die Abgründe von Ivo und mir zu begreifen, rührte mich. Ich sagte, die Gründe seien durchaus auch körperlicher Natur gewesen. Ja, das auch, sagte ich. Ich sagte, es sei nicht das gewesen, was er denke.
    – Was denke ich denn?, fragte er nach und sah mich misstrauisch an.
    – Ich denke, dass du denkst, dass er besser war als du.
    – War er das?
    – Das ist es nicht. Das meinte ich. Das ist es nicht.
    – Also war er das?
    – Nein, das war er nicht. Es war einfach nur anders mit ihm, und ich war auch anders.
    – Wie anders?
    Der Sex war eine Ebene für Mark, über mich und Ivo zu sprechen, die für ihn zugänglich, fassbar und damit auch veränderbar war.
    – Na ja, anders halt.
    – Wie denn?
    Sein nicht nachlassendes Interesse erstaunte mich. Wir fuhren im Auto zu einer Feier zu Freunden von ihm, und es herrschte die Entspanntheit eines späten Samstagnachmittags.
    – Er war gröber, dringlicher, viel unromantischer. Es war nicht schön, falls du es wissen willst. Wir taten uns weh. Wir taten uns sehr oft sehr weh.
    Daraufhin schwieg er eine Weile, er sah aus, als kaute er auf seinen Gedanken. Dann fragte er, während er sich auf die Straße konzentrierte:
    – Ich bin also weich, romantisch, und meine Lust ist nicht so dringlich ?
    – Ach, Mark, lass doch den Blödsinn. Du bist mein Mann. Wir haben, soweit ich weiß, keine Probleme im Bett, oder?
    – Das dachte ich bisher auch.
    – Dann wäre das ja geklärt.
    Wir setzten die Unterhaltung nicht weiter fort, aber ich erinnere mich, dass wir die Nacht bei seinen Freunden in einem Landhaus verbrachten und viel tranken und dass wir dann in einem winzigen Dachbodenzimmer Sex hatten, weil Mark mich im wahrsten Sinne des Wortes dazu drängte, und dass es mir furchtbar unangenehm war, weil Mark besonders laut war und das Bett provozierend laut quietschte. Aber Mark schien genau das zu wollen; er schien allen, vor allem mir beweisen zu wollen, dass er durchaus fähig war, ungezügelt, unnachsichtig und dringlich zu sein.
    Ich habe Mark im Laufe unserer gemeinsamen sieben Jahre nur ein einziges Mal

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