Mein Sanfter Zwilling
betrogen. Und ich habe es ihm gesagt. Zwei Monate später.
Es war auf einer Recherchereise in London, und der frei arbeitende Fotograf, der mich begleitete, entpuppte sich als ein Mann, der mich an etwas erinnerte, was mir abhandengekommen war. Ein gut aussehender dunkelhaariger Mann, der dreckige Cowboystiefel trug und sich ständig an den Armen kratzte, nach einem scharfen Rasierwasser und Nikotin roch und wie ich abgekaute Fingernägel hatte. Er war sehr professionell und hielt sich strikt an unsere Abmachungen. Mit unserem Job waren wir eher fertig als geplant, wir gingen aus. In einem Pub blieben wir schließlich bis zwei Uhr morgens hängen und erzählten einander von unseren Jobs und dann von unseren Beziehungen.
Irgendwann spazierten wir durch das verschneite London zurück zum Hotel. In der Lobby fragte er mich, ob er auf einen Drink mit auf mein Zimmer dürfe.
Die nächsten paar Tage konnte ich es kaum fassen, dass ich mit diesem Mann geschlafen hatte; aber er ließ sich nichts anmerken, und als wir wieder in Hamburg gelandet waren, umarmten wir uns nur flüchtig zum Abschied. Erst da wurde mir klar, dass ich meinen Mann betrogen hatte, in seinem System von Richtig und Falsch, und dass ich es ihm sagen musste. Mark schrie mich an, als ich es ihm offenbarte, lief wütend im Zimmer auf und ab. Es war ein Schock für ihn, niemals hätte er mir so etwas zugetraut.
Er blieb eine Woche bei Freunden, weigerte sich zunächst, überhaupt mit mir zu reden, und machte mir mit allen Mitteln meine Schuld klar; er bestrafte mich. Noch Monate später erinnerte er mich immer wieder an meine Schuld und an seine Überlegenheit mir gegenüber: die Überlegenheit des Vergebenden. Wochenlang musste ich nachgeben, wenn er das Restaurant bestimmte, in das wir gingen; wochenlang bestimmte er die Filme, die wir uns ansahen, wochenlang gab es kein Recht mehr für mich auf ein Widerwort. Und ich fügte mich, da ich wusste, dass ich ihm eigenhändig das Recht gegeben hatte, mich zu bestrafen, sobald ich aus seinem System herausfiel. Denn es war ein System, so wollte ich es damals, das mich erlösen würde von meinen Fehlern, von meiner Launenhaftigkeit, von meiner Suche, die so fehlgeleitet war.
Aber jetzt war es anders, und ich sah an seinem Blick, dass auch er es so verstand, ich rauchte, und es provozierte ihn, da er ein militanter Nichtraucher war und Rauchen für eine Schwäche hielt, die Menschen auszeichnet, die keine Willenskraft besitzen.
– Was soll das, Stella?, zischte er und stützte die Handflächen auf den Tresen.
– Ich habe eben das Bedürfnis zu rauchen.
– Aha. Noch eine Neuigkeit. Was hast du sonst noch so im Gepäck? Pack ruhig aus, ich höre dir zu. Ich werde diesen Tag nur dir widmen, meiner Frau, die nachts nicht nach Hause kommt und hinter meinem Rücken rumvögelt. Und zwar mit einem Mann, der ihr Bruder ist. Ich meine, dafür lohnt es sich doch, den Tag freizunehmen. Theo bleibt heute bei meinen Eltern. Ich kann ihm keinen saufenden Vater und keine rauchende Mutter zumuten.
Der Sarkasmus in seiner Stimme war unüberhörbar, Mark lieh sich diesen Ton von seinem Vater, immer wenn er am Ende war, am Ende mit den Kräften und den Nerven. All seine versöhnlichen Gesten, verständnisvollen Blicke schienen sekundenschnell eingetauscht gegen verachtende, obszöne Bemerkungen. Er rutschte nervös auf dem Barhocker hin und her und warf mir Blicke voller Abscheu zu.
– Ich kann es dir nicht erklären, Mark, und ich kann und werde mich nicht so verhalten, wie du es vielleicht jetzt von mir erwartest. Ich weiß, was ich aufs Spiel setze, vielleicht ist mir das ganze Ausmaß noch nicht bewusst, aber ich kann es ahnen, und glaub mir, es macht mir ungeheure Angst. Wir müssen eine Lösung finden.
Er starrte mich mit aufgerissenen Augen an. Er war auf einen handfesten Streit gefasst gewesen, darauf, dass wir uns anschreien, verletzende Worte tauschen, beide danach vielleicht weinen würden. Aber er erwartete ein Eingeständnis, ein Eingeständnis meines Fehlverhaltens. Er hatte nichts von dem behalten, was ich ihm in der letzten Nacht in der Bar gesagt hatte, was allein zählte, war mein ungeheurer Fehler.
– Dir ist hoffentlich klar, was du hier von dir gibst? Bist du völlig wahnsinnig geworden? Wovon redest du, verdammt?, brüllte er und stand auf. Er kam auf mich zu, und als ich versuchte mich abzuwenden, hielt er meinen Ellenbogen fest und drehte mich gewaltsam zu sich. Wir sahen uns an, und schon
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