Mein Sanfter Zwilling
Sex.
– Und warum schläfst du dann mit ihm?
– Weil ich vielleicht dachte, mich auf diese Art und Weise an etwas erinnern zu können.
– Das hört sich einfach krank an. Weißt du das?
Unwillkürlich fragte ich mich, ob Mark mich jemals betrogen hatte.
– Ich erwarte kein Verständnis von dir, Mark. Mir ist durchaus bewusst, dass ich nichts mehr rückgängig machen kann.
– Was hat er mit dir angestellt? Der Typ ist doch krank. Sogar deine Familie hat ihn rausgeworfen, so krank ist er. Dann verschwindet er einfach, und du, du hast ein verdammt gutes Leben, du hast ein gutes Leben! Und auf einmal stehst du da und teilst mir völlig ernsthaft mit, du würdest mit ihm vögeln, damit du dich erinnern kannst. An was willst du dich erinnern, verdammte Scheiße?
– Warum es so war mit Ivo, warum er so ist, wie er ist, warum er diesen Weg gegangen ist, den er gegangen ist, alles ist meine Schuld. Ich war der Grund, warum er die Entscheidungen traf, die er traf. Er ist ein sehr unglücklicher Mensch.
– Unglücklich? Stella, ich gebe mir ja Mühe, aber das übersteigt jede Fantasie! Unglücklich! Und was wird aus unserem Sohn? Wird er glücklich, wenn du mit ihm vögelst?!
– Ich habe dir gesagt, es geht nicht darum!, schrie ich zurück, und meine Stimme ließ den Raum um uns herum vibrieren. Er öffnete leicht die Lippen, als wolle er etwas entgegnen, und schüttelte dann den Kopf.
– Es geht nicht darum. Aber wie soll ich es dir erklären? Mark, bitte. Ich weiß, dass es schrecklich klingt, aber, ich fühle mich schuldig. Es ist keine humanitäre Hilfe, die ich da leisten will. Es ist auch keine Buße. Ich habe sehr vieles sehr lange verleugnet, und im Leugnen vergisst man nach und nach. Es geht um mich, nur um mich, versteh das doch bitte. Es ist so, dass, dass Ivo derjenige ist, der mich kennt, der alles über mich weiß, sogar Dinge, die ich vergessen habe, und andersrum ist es genauso. Ich denke nicht, dass wir fähig sind, einander zu lieben, das will ich nicht. Es geht nur darum, dass wir einander brauchen. Wir haben versucht …
Beim Wort »lieben« war Mark aufgestanden, er schüttelte wieder den Kopf und verschwand im Schlafzimmer.
Ich folgte ihm und redete weiter auf ihn ein, es war meine letzte Chance, etwas klarzustellen. Er hatte damit begonnen, seine Sachen zusammenzusuchen. Er packte seine Sporttasche.
Er warf weiter wahllos Sachen in die Tasche und ignorierte mich. Als ich zu ihm ging, rammte er mich mit dem Ellenbogen, und als ich mich zwischen ihn und den Schrank stellte, schubste er mich weg. Erst im Flur blieb er vor mir stehen und sah mich streng an.
– Ich habe keine Lust, diesen kranken Scheiß zu hören. Ich gebe dir ein paar Tage Zeit, Stella. Meine Geduld ist zu Ende. Du überdenkst das Ganze. Ich werde dir keine zweite und dritte Chance geben. Ich werde Theo bei meinen Eltern lassen, und du wirst mir versprechen, dich da nicht blicken zu lassen. Ich sage ihm, dass du krank bist und eine Weile allein sein musst. Ist das klar, Stella? Hörst du mir zu? Ruf mich bitte erst an, wenn du dich entschieden hast. Und solltest du diesen ganzen Scheiß nicht klären können, dann hoffe ich, dass dir klar ist, dass du Theo nicht ohne weiteres behalten kannst.
Ich wollte etwas erwidern, aber er hatte die Tür schon geöffnet und war im Treppenhaus verschwunden. Die Schritte hallten nach. Ich stand in der offenen Tür, hörte das Geräusch des anspringenden Motors und des davonfahrenden Wagens.
10.
Leo hatte mich am Telefon angeschrien, was mir einfiele, meinen Artikel von einer Praktikantin schreiben zu lassen, es sei respektlos ihm und unseren Sponsoren gegenüber, und während er mir lautstark die Leviten las, dachte ich darüber nach, dass Schreien in den letzten Tagen ein fester Bestandteil meiner Kommunikation geworden war und bis in nicht absehbare Zukunft wohl auch bleiben würde.
– Leo, ich bedauere es aufrichtig, wenn du wegen mir Unannehmlichkeiten bekommen solltest.
Ich versuchte, ihn zu beschwichtigen.
– Unannehmlichkeiten? Von was redest du, Stella? Ich erwarte dich Mittwoch Punkt zehn in meinem Büro!, bellte er in den Hörer und legte auf.
Es war wieder so weit: Türen wurden zugeknallt, ich wurde beiseitegeschoben, Hörer wurden aufgelegt, bevor Gespräche beendet waren. »Die Aussätzigkeit der Extreme«, hatte Ivo einmal gesagt. Ohne es zu wollen, musste ich lächeln.
Den ganzen Vormittag verbrachte ich im Bett und heulte. Es war Montag. Theo war von
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