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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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meldete sich nicht, schrieb nicht, rief nicht an, Gesi erzählte, dass er ein Praktikum bei einer kleinen Zeitung angefangen hatte.
    Ich trauerte und beschloss aus Trotz, in den Ferien nicht nach Newark zu fliegen. Der Sommer war heiß und ermattend. Fliegen summten im Garten, ich war müde und faul, mit trägen Bewegungen half ich Tulja beim Blumengießen, beim Einkaufen, im Bootsverleih. Barfuß saß ich an den Stegen und sah auf das Meer hinaus und hoffte in meiner romantischen Glut, Ivo würde mein Leid, das ich wegen ihm ertrug, über die Tausende von Kilometern hinweg spüren und Reue empfinden. Insgeheim aber hoffte ich, er würde wiederkommen und sich entschuldigen, die Liebe bestätigen und um mich werben.
    Kaugummi kauend, mit Salz im Haar, lag ich stundenlang in der Bucht und sah den Schiffen in der Ferne zu oder las deprimierende Bücher. Tulja ahnte meine Krankheit und schickte mich zu Vater nach Hamburg. Damals lebte er noch alleine in unserem alten Haus, und wir saßen zu zweit im Garten und schwiegen. Ich wurde grob, antwortete kaum, wenn er mich etwas fragte, und zuckte bloß mit den Achseln. Vater kaufte mir ein Moped, und ich fand die einzige Ablenkung jenes Sommers in höchstmöglicher Geschwindigkeit und in Übertretung aller Verkehrsregeln. Bis ich ein teures Auto aus unserer Straße rammte und man mich zu Leni nach Berlin schickte. Die gerade ein Zimmer im Studentenwohnheim bezogen hatte und ihre verspätete Pubertät nachholte. Als Gesi anrief und mich bat, nach Newark zu kommen, rutschte mir heraus, dass ich keine Lust auf Ivo hätte. Alarm wurde geschlagen. Ein Telefonnetzwerk etablierte sich, und man hielt heimliche Konferenzen ab. Man befragte Ivo, man befragte mich, aber man wurde nicht schlau aus uns.
    Was denn mit uns sei, ob wir uns gestritten hätten, dass ich mich so merkwürdig verhalte? Die Fragen nahmen kein Ende. Man schrieb mein Verhalten meiner kindlichen Eifersucht zu. Man kannte die Ketten, die mich und Ivo aneinander banden. Und man nahm es hin.
    Er kam Ende September wieder. Hochgewachsen, schlaksig, mit einem dunklen Teint und in Cowboystiefeln. Er trug einen schwarzen Rucksack und sah so frei aus, so zufrieden, so beneidenswert, während ich in meinem Elend einzugehen schien: in einem alten Hemd von Leni und in Gummistiefeln von Tulja, in abgeschnittener Jeans und mit zu einem kindischen Bob geschnittenem Haar. Ich fühlte mich schrecklich und verzog mich in die Scheune, als ob ich dort zu tun hätte.
    Vater blieb an dem Abend zum Essen, und wir aßen alle auf der Terrasse. Vater trank und erzählte Anekdoten, und auf einmal wurde auch Ivo ein Glas Wein angeboten. Er nahm es an, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Nach dem Essen entschuldigte ich mich und verließ heimlich das Haus. Ich hörte noch Vater mit seinem alten Wagen davonfahren und Tuljas Schimpfen, er solle in seinem Zustand nicht Auto fahren. Ich hörte die Katzen schreien, und ich hörte, wie in Ivos Zimmer Musik anging. Eine fremde Musik, die mir unzugänglich war, die er aus Amerika mitgebracht hatte. Ich lief zum Steg, wie eine Wahnsinnige rannte ich, warf mich in den kühlen Sand und brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Ich schrie und tobte und klagte die Welt an, die sich mir so grausam zeigte.
    Dann lag ich da und rauchte eine Zigarette, die ich Vater geklaut hatte. Ich hatte aus lauter Langweile angefangen zu rauchen. Ich wusste, dass Tulja mich nicht suchen kommen würde, und so blieb ich, harrte aus, ertrug die nächtliche Kälte und erhoffte mir eine Lungenentzündung, als Strafe für Ivo.
    – Da bist du also.
    Er stand hinter mir. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Er setzte sich zu mir, und ich rückte weg; glücklich und doch verunsichert über sein Kommen.
    – Was willst du?, fauchte ich und blies ihm demonstrativ Rauch ins Gesicht.
    – Nichts. Ich komme zu dir.
    – Wieso?
    – Weil ich dich sehen will. Wir haben uns so lange nicht gesehen.
    – Ach so.
    – Glaubst mir nicht?
    – Nein.
    – Dein Pech.
    – War bestimmt schön bei Mama.
    – Du hättest auch kommen können, schließlich ist sie deine Mutter.
    – Ich wollte dir nicht deinen Sommer verderben.
    – Wieso verderben, was redest du da? Die fragen mich schon die ganze Zeit, was denn los sei.
    – Nichts. Was soll schon los sein?
    – Das frage ich dich.
    – Lass mich in Ruhe.
    – Wieso bist du so zu mir, Stella?
    – Ich bin nicht so .
    – Doch.
    Wir schwiegen eine Weile, und kurz schien alles wieder wie früher, als

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