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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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dass sie nicht weiter kommen kann, satt und glücklich und überfressen kann sie sich nicht bewegen und liegt einfach da, hilflos, fett und nutzlos und hat Angst, zertrampelt zu werden, da keiner sie sieht. Und so wartet sie dort auf dem Boden auf den Tod, und irgendwann schafft sie es und kriecht auf den Baum.
    Ich hatte mich in ein unsinniges Tempo hineingeredet.
    Ivo hatte sich zu mir umgedreht, und ich sah Entsetzen, pures Entsetzen in seinem Gesicht. Er blieb auf Distanz und bewegte sich nicht von der Balkontür weg. Er hatte eine Hand zur Faust geballt und sah merkwürdig aus in seiner unnatürlichen Körperhaltung.
    – Du bist keine Zecke. Das ist furchtbar und widerlich, was du da sagst.
    – Furchtbar? Das ist nicht furchtbar. So fühlt es sich an. Als hätte es mich nie gegeben.
    – Du bist nicht die Zecke. Und wenn, dann haben wir uns beide gegenseitig ausgesaugt.
    – Oh, nein. Du bist weggegangen. Du hast gelebt. Du. Allein.
    – Wer war hier?, fragte ich ihn nach einer Weile fast flüsternd und legte mich aufs Bett. Es roch nach ihm, nach Zigaretten, nach Papier und nach einem merkwürdigen, fast schon penetranten Frauenparfüm.
    – Einfach nur ein Fick.
    – Hast du es nötig gehabt?
    – Menschen haben es manchmal nötig.
    – Warum hast du mich nicht angerufen?
    Er sah mich erstaunt an, schüttelte den Kopf und begann nach seiner fast leeren Wodkaflasche zu angeln, die er irgendwo neben dem Bett abgestellt hatte.
    – Vielleicht hätte ich es ja auch nötig gehabt.
    – Du bist kein Fick für mich.
    – Manchmal möchte ich das sein. Nichts mehr. Vielleicht wäre es einfacher so.
    – Nein. Das kannst du von mir aus für andere sein.
    Er fand die Flasche, leerte die letzten Reste und legte sich zu mir.
    So lagen wir da, ich in meinen Kleidern, er in seinem Handtuch. Im weißen Hotelbett, er auf seiner Seite und ich auf dem Schatten einer anderen Frau, ohne Namen, die nur einen penetranten Duft hinterlassen hatte.
    Ich fuhr ihm übers Gesicht und atmete seinen Geruch ein. Er bewegte sich nicht. Das hatte er früher oft getan: mich einfach nur angesehen. In all den Betten, die wir miteinander geteilt hatten. Ich ließ meine Hand über seinen Körper wandern – es erschien mir wie ein Wunder, ihn berühren zu können, und immer wanderte sie weiter, meine Hand, die Innenfläche, die kühl und feucht war, auf der Suche nach seiner Seele, die sein Körper so eisig und hart umhüllte. Meine Hände – die eine reichte mir irgendwann nicht mehr – suchten ihn ab: nach dem Wesentlichen an ihm. Und meine Hände wurden auf solchen Wanderungen zu meinen Augen, sie ersetzten alle meine Sinne.
    – Das ist abscheulich, das finde ich eklig, das finde ich widerlich: Dass du für einen Fick bereit bist, zu verschwinden, abzutauchen. Was willst du eigentlich beweisen?, fragte ich ihn.
    – Ich bin nicht dein Mann, sagte er und wusste, dass er mich damit ohnmächtig machte.
    Ich erhob mich, zupfte an meinen Kleidern und ging.
    – Ich werde dir all das dalassen, was du brauchst, damit du deine Entscheidung treffen kannst, rief er mir hinterher. Ich schüttelte den Kopf und ohne auf den Fahrstuhl zu warten, rannte ich die Treppen hinunter.

13.
    Es war drei Uhr morgens, ich saß auf dem Bett und wickelte mich in eine Wolldecke ein. Ich fror. Ich war krank, fieberte. Ich hatte geträumt, in einem Zwinger eingesperrt zu sein. Fremde Menschen waren an mir vorübergegangen und hatten mich angesehen, auf mich mit dem Finger gezeigt. Ich wollte schreien, etwas sagen, erklären, dass es ein Missverständnis war, doch kam aus meinem Mund kein Laut hervor.
    Ich nahm Aspirin und zog mir dicke Wollsocken an. Dann sah ich wieder auf die Uhr. Ich sah auf das Leuchten der Ziffern auf der Kommode und dachte an Theo, an seinen ruhigen Schlaf, an seine schweren Lider morgens, an seinen Geruch. Wie er nachts zu uns ins Bett gekrochen kam, schlaftrunken, verwirrt, ein wenig verängstigt von einem schlimmen Traum oder aus Sehnsucht nach uns.
    Mühsam schlich die Nacht an mir vorbei.
    Ich nahm das Telefon in die Hand und starrte die kleinen Tasten an, die starr und nichtssagend einfach nur da waren, um ihre Funktion zu erfüllen, um schnell an Wichtigkeit und Bedeutung zu gewinnen, sobald man eine bestimmte Nummer wählte, sobald man auf diese Zahlenkombination angewiesen war, um mit einem anderen Menschen verbunden zu werden.
    Ich schloss die Augen und wählte blind die endlos lange Tastenkombination. Es klingelte. Wie spät es wohl

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