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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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drehte den Schlüssel noch zweimal im Schloss.
    Ich fand in der Küche eine Rotweinflasche, entkorkte sie, goss mir ein Glas ein und ließ mich aufs Sofa fallen. Und auf einmal wurde mir klar, dass er es ernst gemeint hatte, dass er morgen tatsächlich nicht mehr da sein würde, verschwunden aus meinem Leben. Und dieser Gedanke klumpte sich in mir lächerlich zusammen. Ich rannte auf den Balkon und sah hinunter. Es war dunkel und es nieselte. Ich wollte seinen Namen rufen, gleichzeitig wurde mir bewusst, wie sinnlos das war, und ging wieder hinein. Mein Körper fühlte sich an wie eine funktionslose Masse. Ich saß da und hörte mir beim Atmen zu, als wäre es die einzige Aufgabe, die ich noch hatte.
    Dann sah ich die regennasse Tüte neben mir, ich nahm sie auf den Schoß und presste meinen Oberkörper dagegen. Sein Geruch, vom Regen verstärkt, tänzelte um meine Nase und verursachte mir ein Schwindelgefühl. Ich griff hinein und zog eine dicke, von einem Gummiband zusammengehaltene olivgrüne Mappe heraus. Darauf stand Lado . Das Foto eines älteren, etwas verschlossen wirkenden Mannes fiel heraus. Ich trank mein Glas leer und kämpfte gegen den Impuls an, auf die Straße zu rennen und nach ihm zu suchen; ihm zu erklären, dass er nicht fahren sollte, nicht einfach verschwinden durfte. Dass es nicht sein durfte, dass er kam und ging, wie es ihm gefiel, und mir zum Leben nur den winzigen Raum zwischen diesen beiden Polen, zwischen diesen Zeiten ließ.
    Ich schlich in Theos Zimmer und legte mich zu ihm. Er schlief friedlich, als hätte ihn noch nie eine Sorge gestreift. Ich umfing seinen Rücken, zog die Beine hoch und machte mich klein, passte mich seinem Körper an. Ich versuchte, nicht zu weinen; ich versuchte, mich nicht von ihm zu verabschieden.
    Die Tage bis zu Marks Rückkehr blieb ich ruhig und gelassen. Schrieb meinen Artikel, kaufte ein, brachte Theo zur Schule, zum Fußball, zu einem Kindergeburtstag, zu dem er zuerst gar nicht gewollt hatte und schließlich nach langem Überreden, in weißem Hemd und mit einem Tierparkgutschein, doch ging. Ich traf mich an einem Nachmittag sogar mit meiner Schwester zum Mittagessen. Sie erzählte von ihren Kindern und noch mal von ihren Kindern, erteilte mir Ratschläge, was mein Kind betraf, und schimpfte über Vater und Hanna, die sie aus irgendeinem Grund gänzlich ablehnte, wie eigentlich fast alle Frauen an Vaters Seite, da sie sie nie Vaters würdig erachtete. Sie trank mit steifen Bewegungen ihren Espresso und sah dabei prüfend auf ihre Fingernägel, die kurz und sauber waren. Ihre Stimme verschwand in der Hintergrundkulisse des Café Paris, und ihre Worte begannen sich aufzulösen wie chemische Substanzen in einem Reagenzglas.
    – Stella?
    Ich hatte mit meinem Zeigefinger ihr Handgelenk berührt und mich erinnert, wie sie gewesen war – früher, vor langer Zeit. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund machte es mich sentimental, ich fühlte mich alt, und die Zukunft schien erstarrt, nutzlos und grausam vorhersehbar.
    – Was machst du da, Stella?
    Sie zog brüsk ihre kühle Hand zurück.
    – Ich habe mich erinnert.
    – Woran?
    – An dich, als du noch du warst.
    – Wie soll ich das jetzt bitte verstehen?
    – Bei Tulja, am Meer. Du warst schön. Und du warst nicht so streng. Du warst einfach ein wütendes Mädchen, das darauf wartete, dass das Leben endlich losging. Und das schöne Kleider hatte und gut argumentieren konnte und immer ein wenig traurig war. Eine Zeit lang hast du obsessiv Bach gehört. Aus deinem Zimmer drang immer diese schwere Musik, und ich horchte manchmal an deiner Tür. Und du konntest besser schwimmen als ich. Und früher, ganz früher – da warst du eine kleine, verzogene Prinzessin und bist mir auf die Nerven gegangen, aber du warst trotzdem du, Leni. Nicht die Leni von heute.
    Sie sah mich an, als würde ich in einer fremden Sprache zu ihr sprechen. Ihre Miene verfinsterte sich, und ihre Lippen zogen sich zu einem schmalen Strich zusammen.
    – Was soll dieser Ausfall jetzt? Lass uns lieber noch Kuchen bestellen, sie haben hier hervorragenden Apfelkuchen. Und sie winkte die Kellnerin heran.
    Ich zog in die Schlacht, ich wollte nicht weichen.
    – Du bist mir fremd geworden. Und ich dir auch. Und wir beide sind uns selber vielleicht fremd.
    – Werd jetzt nicht philosophisch!
    – Das ist nicht philosophisch, das ist eine Tatsache!
    – Das ist Unsinn. Und ich möchte jetzt nicht über diesen Unsinn debattieren! Akzeptiere lieber, dass

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