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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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ich zurück und verschloss die Lippen. Er sah mich an, so wie ich mir gewünscht hatte, dass er mich ansehen würde, als ich mich damals am Strand in meiner Unfähigkeit, über meine Gefühle zu sprechen, vor ihm entkleidet hatte. Vor einer Ewigkeit war das. Doch schien diese Ewigkeit aus Wachs gemacht, sie brannte, tropfte, schmolz nun zusammen und ergab das Jetzt.
    Wir drehten uns, er presste mich gegen das Spülbecken, und da, zum ersten Mal spürte ich das scharfe Stechen einer Kante in meiner Wirbelsäule, das mich seitdem verfolgt. Es war das erste Mal, dass ich mit Ivo schlief.
    Wir ließen nicht voneinander ab, machten immer weiter. Immer weiter, bis es hell wurde. Gegen die Wand gepresst, im Flur, wo die Leisten an den Wänden fehlten, und schließlich in dem kahlen Zimmer mit einer alten Matratze.
    Als es anfing zu dämmern, stand er schlagartig auf, ließ mich nackt liegen und ging duschen. Ich hörte zu, wie er das Wasser aufdrehte. Irgendwann ging ich ins Bad und stieg zu ihm in die Duschkabine.
    – Bist du nicht müde, wollen wir nicht schlafen?, fragte ich ihn, und er lachte. Er lachte laut und belustigt. Dann drehte er mich um und hielt meine Hände auf dem Rücken fest. Er presste sich an mich und beugte mich nach vorn. Ich schrie auf und versuchte mich umzudrehen; es gelang mir nicht, ich rutschte ab und mein Kopf prallte gegen das Glas der Kabine. Er nahm keine Notiz davon, wie wild geworden machte er weiter.
    Ich ließ mich auf den Boden gleiten, das Wasser überströmte mich, und ich begann zu weinen.
    – Warum weinst du?
    – Du hast mir wehgetan.
    – Ich hab schon immer versucht, es dir zu sagen.
    – Was? Was, verdammt? Du weißt doch ganz genau …
    – Ich weiß gar nichts, gar nichts, Stella! Also, hör auf. Du wolltest es, und nun weinst du. Ich habe versucht, dir zu sagen, dass es nicht geht, ohne dass es wehtut.
    Er wusch sich seelenruhig weiter, während ich meinen Kopf festhielt, während der Schmerz aus der Beule kroch und sich im ganzen Körper einnistete. Und doch sah ich, dass er schön war. Seine Knöchel, seine Waden schön waren – behaart und ein wenig knochig, auch sein Hintern, ein wenig zu klein, und seine Arme sonnengebräunt bis zu der Stelle, wo die Ärmel seines T-Shirts begannen.
    – Ich werde es nicht bereuen. Auch wenn du mir wehtust, Ivo.
    Er reichte mir seine Hand, ich stand auf, und er rieb mir Shampoo in die Haare, fuhr vorsichtig mit den Händen durch meine Haare, wie meine Mutter es getan hatte, als ich klein war und ich Angst hatte, Shampoo würde mich blind machen, und ganz fest, ganz, ganz fest die Augen zusammenkniff.

12.
    Leo gab mir den Auftrag, einen Artikel über einen Architekten zu schreiben, den ich nicht kannte, der mich nicht interessierte, der nichts mit mir zu tun hatte, wir stritten uns. Der Tag war ermüdend. Ich befand mich in einem somnambulen Zustand. Er würde mich rausschmeißen, wenn ich so weitermachte. Ich machte weiter und bewies eine kindische Sturheit, richtete den sinnlosen Ehrgeiz gegen mich, den Ehrgeiz einer, die aus dem eigenen Leben trat und alles von außen zu belächeln anfing.
    Ich schlief kaum noch.
    Theo, der immer noch bei seinen Großeltern war, rief an und wollte wissen, wo und wie seine Geburtstagsparty stattfinden sollte; die Großeltern hatten dafür natürlich ihr Haus angeboten, das größer und heller und vielversprechender war als unsere Wohnung. Ich diskutierte nicht mit ihm, hörte nur zu, spürte meine aufsteigende Wut, spürte den Drang, ihn jetzt, auf der Stelle zu entführen, herauszureißen aus der großelterlichen Harmoniediktatur, in der er eingesperrt war, in die man ihn hineinwiegte. Ich sagte nichts.
    Ivo meldete sich nicht.
    Tulja lud mich zu sich ein; sie habe so lange nicht mehr für mich gekocht, gab sie vor. Ich schaltete mein Handy aus. Zu Hause starrte ich aus dem Fenster und rauchte. Der Rauch beruhigte mich, machte mich träge, müde, fügsam. Vater rief an, prüfte an meiner Stimme, ob mein Leben noch hinzubiegen war – dahin, wo es hinzugehören hatte.
    Am nächsten Abend stand ich traumwandlerisch auf und marschierte zu Fuß zum Pacific. Ich ging an der Rezeption vorbei direkt zum Fahrstuhl.
    Vor seinem Zimmer blieb ich stehen, und diesmal fragte ich nicht mehr nach Konsequenzen. Ich lebte sie schon. Ich klopfte. Sofort wurde die Tür aufgerissen. Er stand vor mir – gerade aus der Dusche, mit einem Handtuch um die Hüften.
    – Als hätte ich gewusst, dass du kommst, sagte er, und

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