Mein Sanfter Zwilling
mich an, fuhr ich fort.
– Bitte lass das …
– Nein, du stopfst mir nicht den Mund, nein! Diesmal schrie ich, und er legte instinktiv einen Finger auf die Lippen. Seine Angst in diesem Badezimmer, in der Enge, machte mich endlich frei.
– Nein, das wirst du nicht! Hör auf, mich zu bevormunden. Wir waren nicht so, unsere Beziehung war nicht so, sie beruhte immer auf Gegenseitigkeit, bis du angefangen hast, dich dafür zu schämen, für das, was ich empfinde, was du vielleicht empfinden könntest, wenn du … Ich will das nicht mehr, Ivo. Verstehst du mich denn nicht? Ist es so schwer, das zu verstehen?
– Wie stellst du dir das vor? Ich meine, sollen wir heiraten und süße Babys in die Welt setzen und sie dann von Leni oder Frank taufen lassen?
– Nein, du tust mir nicht weh, tiefer kann es nicht gehen. Mein Gott, Ivo. Ist es nur das?
Und ich legte mir die Hand zwischen die Beine.
– Ist es das? Das kann es nicht sein, das kann es doch nicht sein? Dafür lohnt sich der ganze Aufwand doch nicht? Ich liebe dich, Ivo.
Er senkte den Blick und starrte auf seine nackten Füße. Ich musste lächeln; in dem Moment, wo so vieles zu zerbrechen schien, spürte ich, wie etwas zu heilen begann. Ich lächelte, ich lächelte ihn an.
– Ich liebe dich, den Ivo aus der Vergangenheit, den Ivo aus der Gegenwart und den aus der Zukunft. Ich liebe dich, vielleicht, weil wir so einsam waren, so klein und so schwach und es trotzdem geschafft haben, weil du meine Sprache gebraucht hast, weil du mich trotz allem dazu bestimmt hast, für dich zu sprechen, als du schwiegst, für dich in die Welt zu schauen, mit meinen Augen. Weil du es von mir erwartetest und mir damit eine Aufgabe gabst, einen Sinn. Denn, den brauche ich von dir. Ich liebe dein kleines Muttermal auf dem rechten Schenkel, ich liebe die Art, wie du rauchst, ich liebe deine Angst vor meinem Körper, ich liebe deine Wut auf die Welt, weil sie sich dir so verkehrt zeigt, ich liebe deine Küsse und deine Gespräche über Politik, ich liebe die Art, wie du schreibst; ich liebe es, wie du eine Gurke schälst und dann so genussvoll hineinbeißt, und ich liebe all deine Versuche, unsere Familie zu beschützen vor allen anderen, sie zu verteidigen, und ich will, dass du mich anhörst, dass ich dich um Verzeihung bitten kann.
Es klopfte an der Tür. Das Wasser lief weiterhin, und der lose Duschkopf bespritzte den ganzen Boden.
– Seid ihr da drin, ihr zwei?, fragte Tulja, und ich hörte in ihrer Stimme Besorgnis mitschwingen, die Unsicherheit, die sie sonst so gut zu verbergen wusste, als wäre sie der furchtloseste Mensch auf Erden, als wäre die Angst eine der Todsünden.
Und während er mich fassungslos ansah, rief er:
– Es ist alles in Ordnung, Tulja, Stella hat sich im Garten in den Finger geschnitten, und wir verarzten gerade ihre Hand. Seine Stimme klang so fröhlich, ganz unbeschwert, und wieder tat ich etwas, das ich vielleicht nicht getan hätte, wäre er ein wenig ehrlicher, nicht so triumphierend gewesen.
Ich rannte, bevor er meinen Arm fassen und mich aufhalten konnte, zur Tür, öffnete sie und spazierte nackt an Tulja vorbei, ließ hinter mir das Schlachtfeld offen liegen. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich dabei empfunden habe. Ich weiß nur, dass Tulja erschrocken zurückwich, dass Ivo irgendetwas rief und dann verstummte. Ich ging über den Flur, feuchte Fußspuren hinterlassend, und ich ging stolz. Mit jedem Schritt erlangte ich meine Würde zurück, die er mir genommen hatte, indem er mich liebte und mir dabei Mund und Augen zuhielt.
15.
Im Auto hörten wir Benjamin Blümchen, eine Kassette, die Theo schon auswendig konnte. Er wollte sie immer wieder hören, was Mark toll fand, denn sein Sohn sollte nicht auf Computerspiele abfahren, sondern ein ganz normales Kind bleiben, das Märchen vorgelesen bekommen wollte und Fußballstars anhimmelte. Sein Sohn würde nicht schwul werden, bestimmt nicht aggressiv, bestimmt nicht mit Drogen experimentieren und bestimmt nicht seine Eltern enttäuschen.
Theo, nach seinem Geburtstagsfest vollgefressen mit Süßigkeiten und vollbepackt mit Geschenken, döste glücklich mit sich und der Welt auf dem Rücksitz. Wir schwiegen und starrten auf die Straße. Ich hatte einige Martinis intus und fühlte mich träge und schwer.
Mark trug den schlafenden Theo in die Wohnung hoch. Er legte ihn hin, zog ihn aus, deckte ihn zu, küsste ihn, zog die Vorhänge mit den Ninja Turtles zu und kam ins Wohnzimmer, wo
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