Mein Sanfter Zwilling
Kopf unter das Kissen und bedeckte es mit meinen Händen, als könnte es die Welt um mich herum von mir fernhalten.
Theo legte seine Hand auf meine Augen und küsste meine Stirn.
– Ich muss zum Training. Papa ist schon weg. Wach auf!
– Oh, Großer. Wie spät ist es?
– Acht und noch zwanzig.
– Okay. Habe verschlafen.
– Nein, wir haben noch so viel Zeit, bis der Zeiger ein wenig vor neun ist.
– Ja, das stimmt. Komm, wir frühstücken was Leckeres. Worauf hast du Lust?
– Auf Karotten.
– Was?
– Ich möchte eine Möhre.
– Aber, Theo, Karotten isst man nicht zum Frühstück, die können wir danach essen.
– Aber ich will eine.
– Okay, okay, ist ja gut. Darf ich dich was fragen, Liebling? Ich stand auf und ging ins Bad, während Theo mir in seinem Pyjama mit Pu dem Bären drauf folgte und zusah, wie ich den Wasserhahn aufdrehte und anfing, mir die Zähne zu putzen.
– Ja, darfst du.
– Was hat es auf sich mit den Karotten?
– Was heißt das: Was hat es auf sich?
– Nun ja, was bedeuten sie für dich, warum machst du das?
– Warum mache ich was?
– Na ja, du hebst seit geraumer Zeit Karotten auf und willst nicht, dass wir sie wegschmeißen, auch wenn sie vergammeln, und essen tust du sie ja auch nicht.
– Das stimmt nicht. Ich esse sie sehr wohl.
– Das war nicht meine Frage.
– Du hast Zahnpasta auf der Lippe.
– Ja, ich mach sie weg. Wenn du mir antwortest, dann gehen wir vielleicht nachher Eis essen, oder wir gehen auf den Spielplatz.
– Ich weiß nicht.
Auf einmal begann Theo zu weinen. Ich nahm ihn in die Arme und versuchte ihn zu trösten, aber er hörte nicht auf, er begann nur noch lauter und lauter zu schluchzen und klammerte sich um meinen Hals. Ich trug ihn ins Wohnzimmer und setzte mich mit ihm auf die Couch. Ich küsste sein Gesicht und seine kleinen Hände, die er zu Fäusten geballt hatte, und ich strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Wie hatte ich jemals denken können, es ohne ihn aushalten zu können, ohne seine Liebe, ohne das Gefühl, dass ich ihm unentbehrlich war, dass er meine Arme, meine Lippen, meine Schultern brauchte zum Festhalten, zum Klammern, zum Küssen, zum Ausweinen. Ich presste ihn fester und fester an mich, und irgendwann sah er mich an und zog seinen Augenbrauen zusammen.
– Du magst Papa nicht mehr, oder?, sagte er und meinte das eher als eine Feststellung als eine Frage.
– Wie kommst du darauf, Schätzchen? Was sagst du da, Theo?, empörte ich mich, und gleichzeitig hätte ich am liebsten gekotzt über meine gespielte Empörung.
– Es ist doch so.
– Aber es stimmt nicht. Es ist gerade einfach nur schwer, wir sind … Na ja, wie soll ich das sagen. Das kommt vor, zwischen allen Menschen gibt es mal Zeiten, in denen sie sich mehr und in denen sie sich weniger mögen.
– Magst du mich manchmal auch mehr und manchmal weniger?
– Nein, bei Kindern und ihren Eltern ist das nie so. Sie mögen sich immer.
– Immer immer?
– Ja, sie mögen sich sogar immer mehr. So wie ich dich. Jeden Tag mag ich dich mehr und mehr, und eines Tages wird mein Herz gaaanz groß aus lauter Liebe zu dir.
Ich begann ihn zu kitzeln, um die dunklen Wolken von seinem Gesicht zu vertreiben. Er lachte und schlug einen Purzelbaum auf der Couch. Dann standen wir auf, und ich bereitete ein ausgiebiges Frühstück, er schien seinen Wunsch nach Karotten vergessen zu haben, doch die bräunlich schimmernde Karotte im Obstkorb ließ mein Unbehagen andauern.
Ich fuhr ihn zum Training. Es war ein sonniger Samstagmorgen, und ich saß mit anderen ihren Kindern zujubelnden Vätern und Müttern auf der feuchten Holzbank. Ich sah ihm zu, ich war wieder seine Mutter, die an seinem Leben teilnahm. Ab und zu warf er einen Blick auf die Bank, zu mir, um sicherzugehen, dass ich noch da war. Nach dem Training half ich ihm aus den verschwitzten Sachen und setzte ihn ins Auto. Ich wollte mit ihm ans Wasser, es war warm, und ich wollte mit ihm Eis essen, eine normale Mutter sein, die mit ihrem Sohn etwas Schönes unternimmt.
Wir fuhren an die Elbe, ich kaufte unterwegs einen Eisbecher mit vielen bunten Kugeln, und obwohl der Sand noch viel zu kalt war und die Sonne noch nicht stark genug, setzten wir uns an den Strand und sahen aufs Wasser, auf die Schiffscontainer und auf die Schiffe. Menschen joggten an uns vorbei, Menschen küssten sich, Menschen machten mit ihren Hunden Spaziergänge. Und wir waren wieder mittendrin.
Theo fand bald ein paar Gleichaltrige und
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