Mein Sanfter Zwilling
ihn. Er stieß mich zurück und murmelte etwas vor sich hin. Er sah sich um, er sah sich nach Tulja um.
Mir schnürte es die Kehle zu, ich sprang hoch und rannte, so schnell ich konnte, aus dem Garten. Diesmal rannte ich nicht zum Strand, sondern ins Haus, unter die warme Dusche. Ich hoffte, das heiße Wasser würde die erneute Niederlage von mir abwaschen. Ich presste mich gegen die beschlagene Kabinenwand.
Er zog an der Türklinke und kam ins Bad hinein. Ich öffnete die Duschkabine.
– Geh weg!, schrie ich und schlang die Arme um meinen Körper. Ich wollte nicht, dass er mich nackt sah.
Er stand da und bewegte sich nicht, nur seine Nasenflügel bebten ein wenig. Er hatte Angst, ich sah es, und dies machte meine Niederlage noch niederschmetternder. Ich drehte ihm den Rücken zu und rieb mich mit Tuljas Rosenseife ein und verbarg mein Gesicht unter den nassen Haaren. Irgendwann spürte ich seine Hand auf meinem Hintern. Er machte einen Schritt auf mich zu und begann sich auszuziehen. Er kam in die nach Gartenerde riechende Kabine und drückte mir die Hand auf den Mund.
Wir liebten uns versteckt, da er nicht wollte, dass diese Liebe irgendwelche Spuren in dem Raum hinterließ. Er nahm mich an jenem Nachmittag, er nahm mich wie eine Bürde, wie ein Süchtiger nahm er mich hin; er ergab sich seiner Lust, aber er ergab sich nicht mir.
Ich sah es, ich sah es in seinen Augen, die meinem Blick auswichen, ich sah es an seinen Händen, die mein Fleisch als ein Hindernis wahrnahmen, und ich hätte schreien müssen, mich befreien, aber stattdessen streckte ich mich, passte mich an, verschaffte ihm bessere Möglichkeiten, meinen Körper zu missbrauchen und mich zu demütigen.
Er trocknete sich ab, während ich unter der Dusche blieb und das Wasser meinen Körper reinigen ließ, der schmerzte und brannte. Er betrachtete sich im Spiegel und schien wieder ruhiger, bei sich, wieder Herr der Lage. Ich hockte mich hin und presste die Beine fest zusammen, in der Hoffnung, dass der Schmerz nachlassen würde, indem ich ihn einfach abschnürte.
– Es wäre nicht gut, wenn Tulja und die anderen …, flüsterte er auf einmal und begann sich hastig anzuziehen.
– Ich geh raus und mach weiter im Garten. Du wartest noch eine Weile.
Er sagte dies ganz ruhig, planvoll, sah dabei sein Gesicht an und fuhr sich mit der Hand über die Wangen, um sicherzustellen, dass die Abdrücke seiner Lust verschwunden waren. Ich denke, es war diese Ruhe, diese Selbstsicherheit in seiner Stimme, die mich explodieren ließen, die mir Kraft gaben, obwohl ich stumm unter der Dusche hockte. Anders kann ich mir nicht erklären, warum ich so reagierte, wie ich da reagierte. Warum ich auf einmal so viel Kraft in mir verspürte, um mit einer Bewegung aus der Kabine zu springen.
Ich stand nass und nackt vor ihm und sah ihn genau an. Irgendetwas in meinem Gesichtsausdruck ließ ihn einen Schritt zurückweichen, dann blieb er wie versteinert stehen.
– Keine Sekunde werde ich warten, und es ist mir scheißegal, ob es schlimm oder schlimmer oder am schlimmsten für die anderen wird. Ich bin am Ende, was kümmern mich da die anderen. Ich habe lang genug für die anderen mitgedacht. Hörst du? Hörst du, Ivo? Mich hat gerade ein Mann verlassen, der mich liebte und den ich liebte und mit dem ich hätte glücklich werden können. Und weißt du warum? Na, willst du mal raten? Willst du es? Ich vermute, du kennst den Grund, ja, das vermute ich, obwohl du immer so tust, als würde es dich aufs Neue überraschen, dieser Scheißgrund! Ich werde keine Sekunde warten, und du kannst mir nicht immer den Mund zuhalten. Ich habe jahrelang, seit jenem beschissenen Tag am Strand, versucht, alles richtig zu machen, so wie du denkst, dass es richtig ist, und nun stelle ich fest, dass dieses Richtig nur ein Richtig für dich ist, für mich aber ein völliges, absolutes Falsch. Und deswegen werde ich den Mund nicht halten. Wenn es eh wehtut, dann soll alles auf einmal kommen. Dann kann ich es schaffen, aber so, so nicht.
Ich hatte ihm die ganze Zeit in die Augen gestarrt. Seine Pupillen waren geweitet, und zum ersten Mal spürte ich mich als die, die ich sein wollte, die ich wäre, wäre nicht er, der meine Selbstbestimmung, meine Pläne mit einem Wort, mit einem Wimpernschlag zunichtemachte. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und trotz meiner jämmerlichen Situation spürte ich die Kraft, standzuhalten.
– Ich will dich, Ivo. Ich will dich bei mir haben. Ja, hör es dir an. Sieh
Weitere Kostenlose Bücher