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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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schläfst mit mir und sagst mir danach, dass du doch zu ihm gehst?
    – Ich hab’s versucht.
    – Das ist großartig. Das ist jetzt echt das Sahnehäubchen! Damit hast du dich selbst übertrumpft. Du verlässt mich, nachdem du mit mir geschlafen hast?
    – Ich muss.
    Ich wiederholte diese zwei Worte, in die Dämmerung starrend, während Mark sich erhob und anfing, sich hastig anzuziehen.
    – Ich habe nie eine andere Chance gehabt, sagte ich noch, aber da war er schon aus dem Zimmer verschwunden. Und ich dachte an meinen Sohn, der Möhren sammelte und Gott beschwor, dass seine Mutter zu der Mutter werde, die er sich wünschte.

2. TEIL: HIER

18.
    Die Haut brannte, und die Augen tränten, und die Lippen waren rissig, und sogar die winzigen Stellen unter meinen Fingernägeln schienen zu schmerzen, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. Und ich dann den Fuß auf die Erde setzte, auf die Erde, über die ich nichts wusste, außer dass sie fern war und rau. Der östlichste Ort meines bisherigen Lebens war Sofia, Bulgarien, gewesen, wohin ich meinen Vater für einen Wochenendbesuch begleitet hatte. Das lag nun schon mehr als zehn Jahre zurück. Ich hatte mir in den letzten Stunden verboten zu denken. Ich hatte einen langen Brief geschrieben und alle Gedanken da hineingetan, die zu denken ich in der Lage gewesen war: die vergangenen, die gegenwärtigen und ja, vielleicht gar die zukünftigen, als würde ich sie alle vorausahnen.
    Ich folgte der Menschenmenge, die mich an diesem Morgen laut und wild gestikulierend vorantrieb. Ich zeigte meinen Pass, ich nickte, ich schüttelte den Kopf, ich tat einfach, was andere taten, und ich ließ mich von unzähligen Taxifahrern und Gepäckträgern umgarnen, die mich am Ausgang umzingelten. Und dann zog mich seine Hand weg. Es war heiß, trocken, und ich musste meine Jeansjacke ausziehen, ich folgte ihm. Wir setzten uns in einen schlammbespritzten Landrover, ohne ein Wort miteinander gewechselt zu haben. Er bot mir eine Zigarette an. Ich nahm sie. Ich presste mein ausgetrocknetes Gesicht gegen das Fensterglas.
    – Danke, sagte er. Ich sah ihn an, ich wusste, ich durfte keine Zweifel zulassen, aber ich zweifelte jetzt schon an meinem Vorhaben.
    – Danke, dass du gekommen bist.
    – Ich werde nicht lange bleiben können. Ich muss zurück, bevor er die Scheidung einreicht.
    – Er wird keine Scheidung einreichen. Er wird dich behalten.
    – Lass mich, ich bin müde. Ich kann jetzt nicht über Mark reden. Du kennst ihn überhaupt nicht.
    – Ich kenne dich.
    Er drückte aufs Gas und kurbelte die Scheibe herunter. Es wurde immer heller, der Himmel nahm eine violette Färbung an. Ich hätte mich am liebsten selbst verprügelt, wenn ich dazu die Kraft gehabt hätte.
    – Und was machen wir jetzt?, fragte ich ihn stattdessen.
    – Wir haben hier zu arbeiten.
    Die Autobahn erstreckte sich weit vor uns. Ich schloss die Augen und dachte an Theo, dem ich gesagt hatte, dass ich bald wiederkäme. Ich hatte ihn hoffentlich nicht angelogen.
    – Wusstest du eigentlich, dass ich ein Erbe gemacht habe?
    – Was?
    – Na ja, mein Vater hatte offenbar Geld. Na ja, bevor … Und das habe ich bei meiner Volljährigkeit bekommen. Von einem Anwalt aus der Schweiz. Und ich habe das Geld niemals angerührt. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich es nicht durfte, weil ich nichts damit zu tun haben wollte. Es mir nicht guttun würde. Und auf einmal, als ich nach Hamburg zurückgekommen bin, da wusste ich: Jetzt, jetzt wird es Zeit. Und ich habe jetzt vor, dieses Geld auszugeben, und zwar mit dir. Das wäre zumindest konsequent , meinst du nicht?
    Ich sah ihn fassungslos an und biss mir auf die Unterlippe.
    Durch das offene Fenster roch es nach Akazien und Staub, und der Himmel war schwer. Die Zypressen erstreckten sich am Straßenrand. Die Stadt war alt und hügelig, und zwischen all den alten Gebäuden ragten die sozialistischen Betonbauten hervor und machten das Gesamtbild irritierend.
    Auch im Morgengrauen war es nicht ganz still, nicht die sterile Stille, die ich von jenen Hamburger Morgen kannte, wenn ich vor Theo aufwachte, um ihm Frühstück zu bereiten und ihn für die Schule fertig zu machen.
    Wir schwiegen.
    Auf einem Hügel bog er auf einen alten Hof, der mit protzigen Autos zugeparkt war, dahinter flatterte Wäsche, zum Trocknen aufgehängt zwischen zwei kleinen Apfelbäumen, in der Mitte ein Steinwasserbecken, an das ein Schlauch angeschlossen war, der einen ausgerollten Teppich wässerte, der

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