Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Nutt
Vom Netzwerk:
Zeit der große Zeichner, Regisseur und Comedy-Künstler Loriot des Themas angenommen. In einem seiner unzähligen gezeichneten Sketche zeigt er einen wortkargen Ehemann im Wohnzimmersessel. Die Frau besorgt den Hausputz und versucht ihn unentwegt dazu zu bewegen, etwas zu unternehmen. Obwohl der Mann beinahe reglos und stumm im Sessel verweilt, stört er. Es deutet einiges darauf hin, dass er in der Regel nicht dort sitzt. Was macht er da? Wo kommt er bloß her? Kann er denn nicht etwas anderes oder überhaupt etwas tun?
    Er hingegen will »nur sitzen«. Auch in diesem Fall ist eine Eskalation der Szene vorgezeichnet. Doch bei einem gesitteten Gesellschaftsbeobachter wie Loriot geht es selten jemanden an den Kragen. Ein Charakteristikum seiner seltsam gewöhnlichen Figuren ist ja deren Anpassungsfähigkeit. Der bei der Befriedigung des biederen Bedürfnisses nach Muße gestörte Gatte ist ebenso wenig wie dessen Ehefrau zu Gewalt- oder Mordphantasien in der Lage. Die zu entwickeln, überlässt Loriot getrost dem Zuschauer, der sich die Szene mit sicherem Gespür für Erlebtes auszumalen vermag.

    Berta:
»Ich meinte nur, es könnte ja nicht schaden, wenn du mal spazieren gehen würdest!«
    Hermann:
»Nein, nein, schaden könnte es nicht.«
    Berta:
»Also was willst du denn nun?«
    Hermann:
»Ich möchte hier sitzen!«
    Berta:
»Du kannst einen ja wahnsinnig machen!«
    Hermann:
»Ach.«
    Berta:
»Erst willst du spazieren gehen, dann wieder nicht. |66| Dann soll ich einen Mantel holen, dann wieder nicht. Was denn nun?«
    Hermann:
»Ich möchte hier sitzen!«
    Berta:
»Und jetzt möchtest du plötzlich da sitzen!«
    Hermann: »Gar nicht plötzlich. Ich wollte immer nur hier sitzen!«
    Berta:
»Sitzen?«
    Hermann:
»Ich möchte hier sitzen und mich entspannen!«
    Berta:
»Wenn du dich wirklich entspannen wolltest, würdest du nicht dauernd auf mich einreden!«
    Hermann:
»Ich sag ja nichts mehr!«
    Berta:
»Jetzt hättest du doch mal Zeit irgendwas zu tun, was dir Spaß macht!«
    Hermann:
»Ja.«
    Berta:
»Liest du was?«
    Hermann:
»Im Moment nicht!«
    Berta:
»Dann lies doch mal was!«
    Hermann:
»Nachher, nachher vielleicht!«
    Berta:
»Hol dir doch die Illustrierten!«
    Hermann:
»Ich möchte erst noch etwas hier sitzen.«
    Berta:
»Soll ich sie dir holen?«
    Hermann:
»Nein, nein. Vielen Dank.«
    Berta:
»Will sich der Herr auch noch bedienen lassen, was. Ich renne den ganzen Tag hin und her. Du könntest wohl einmal aufstehen und dir die Illustrierten holen!«
    Hermann:
»Ich möchte jetzt nicht lesen!«
    Berta:
»Mal möchtest du lesen, mal nicht.«
    Hermann:
»Ich möchte einfach hier sitzen.«
    Berta:
»Du kannst doch tun, was Dir Spaß macht!«
    Hermann:
»Das tue ich ja!«
    Berta:
»Dann quengle doch nicht dauernd so rum!«
    Berta:
»Hermann?«
    Hermann:
»–«
    |67|
Berta:
»Bist du taub?«
    Hermann:
»Nein, nein.«
    Berta:
»Du tust eben nicht, was dir Spaß macht. Stattdessen sitzt du da!«
    Hermann:
»Ich sitze hier, weil es mir Spaß macht!«
    Berta:
»Sei doch nicht gleich so aggressiv!«
    Hermann:
»Ich bin doch nicht aggressiv!«
    Berta:
»Warum schreist du mich dann so an?«
    Hermann:
»Ich schrei dich nicht an!«

    Einfach nur sitzen zu wollen, ist keine satisfaktionsfähige Handlung. Dabei stehen Alternativen im familiären Haushalt hinreichend zur Verfügung. Ein Mittagsschlaf könnte der Erholung dienen, Fernsehen vielleicht der Informationsaufnahme, etwas Lesen verhülfe zu Kontemplation. So weiß sich, um nicht immer bloß zu sitzen, der Heimwerker mit allerlei Gerätschaften im Keller einzurichten. Hier hat die männliche Spezies es sogar zu einer unübertroffenen Ordnung gebracht. Alles an seinem Platz. Ferner gibt es viele Möglichkeiten, sich auch außerhalb solcher Keller nützlich zu machen oder seinem Tun wenigstens den Anschein sinnvoller Aktivität zu geben. Bloßes Sitzen aber stellt eine unerträgliche Provokation dar. Wie das Liegenbleiben hat es weder ein erkennbares noch verlässliches Ende und für die emsigen Ehefrauen der Sketche besteht der Skandal insbesondere darin, dass Zweckorientierung nicht in Betracht zu kommen scheint. Schlimmer noch als die aufgeschobene Verrichtung einer Tätigkeit ist, dass im Loriot-Sketch streng genommen nichts aufgeschoben wird. Wer etwas aufschiebt, den plagt meistens ein schlechtes Gewissen. Er weiß ja nur zu genau, was zu tun ist. Die beiden Comedy-Figuren sind jedoch frei davon. Jedenfalls äußern sie sich diesbezüglich nicht. Ein

Weitere Kostenlose Bücher