Mein schwacher Wille geschehe
aufgeschobener oder sofort erledigter Handlungen mit einbezogen werden. Singles hingegen unterliegen sehr viel stärker der Tendenz zur Verwahrlosung. Für alles selbst verantwortlich, Maßstab und Orientierungspunkt zu sein, macht das Leben bisweilen einfacher, im Umgang mit gesellschaftlichen Normen aber eher komplizierter. Unterhält man Beziehungen, in denen Anerkennung, Gefühle und Stimmungen ausgetauscht werden, so werden die alltäglichen Handlungen bald mit zusätzlichen Bedeutungen aufgeladen. Es sind keineswegs nur Liebesbeziehungen, die derart unter emotionale Spannungen geraten können.
Wie zum Beispiel eine Arbeits- und Geschäftsbeziehung sich zu einem faszinierenden psychologischen Drama steigerte, zeigt der Briefwechsel zwischen dem Schriftsteller Wolfgang Koeppen und seinem Verleger Siegfried Unseld, der zugleich das Protokoll eines jahrelangen Aufschubs ist. Der Briefwechsel ist die nicht enden wollende Korrespondenz über ein ungeschriebenes Buch. Nach drei erfolgreichen Romanen (
Tauben im Gras, Das Treibhaus
, Tod in Rom
), die als Zeitromane in den Nachkriegsjahren der Bundesrepublik angesiedelt sind, war Koeppen, der vor dem Krieg bereits zwei Romane veröffentlicht hatte, mit einigen Vorschusslorbeeren in den Suhrkamp Verlag gewechselt, wo der |73| junge Verleger Unseld bald einen neuen Roman erwartete. 9 Immer wieder kommt es zu Formulierungen wie dieser vom 19. November 1960: »Gelänge es mir bis zum Jahresende, hätte es sein Gutes: unbeschwerten Gemütes könnte ich den Roman packen und ihn noch für den Herbsttermin schaffen. Ich hoffe es, ich glaube es! Die Flinte soll nicht ins Korn geworfen werden, und ich bin mit herzlichem Gruß Ihr Wolfgang Koeppen.«
Der Konjunktiv, das Gemüt, Glaube, Hoffnung, die nicht ins Korn geworfene Flinte. Schon früh beginnt sich abzuzeichnen, was auch über dreißig Jahre später die Beziehung der beiden Männer prägt, die, trotz aller Enttäuschungen, Drohungen und Zerwürfnisse Freunde wurden und blieben. Der geduldige, junge Verleger spielt das Spiel seines weit älteren, angesehenen Autors mit. »Lieber Herr Koeppen«, schreibt Unseld am 22. November 1960, »das war ein guter Brief, den Sie mir am 19. November schickten, weil er mir doch Ihre Arbeit und Ihren Arbeitswillen zeigte...« Schon früh erweist sich Unseld als der ideale Partner der Kommunikation über Aufschub, veränderte Fristen und neue Abmachungen. Ein paar Wochen später, vielleicht baute Unseld auf die guten Vorsätze seines Autors zum Jahreswechsel, versucht er es am 30. Dezember 1960 mit der leisen Tönung einer Mahnung:
»Lieber Herr Koeppen, in den letzten Arbeitsstunden des Verlages schreibe ich Ihnen noch diesen Brief; gestern abend habe ich die Überweisung der ersten Rate unterschrieben. Mit welchen Gedanken. Nun stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Jahr, das uns zu engerer Zusammenarbeit führen wird. Sie wissen, es ist mein sehnlicher Wunsch, dass diese Zusammenarbeit sich harmonisch und produktiv auswirken möchte. Der Verlag hat ja nun Vorleistungen ideeller und materieller Natur erbracht. Ich hoffe sehr, dass dieses Vertrauen Sie bewegt und befeuert, in jedem Fall aber bestärkt.«
Unseld schreibt zum Jahreswechsel. Wie einer, der sich mit guten Vorsätzen neu zu erfinden versucht, probiert er auch in der |74| bereits durch Versäumnisse geprägten Beziehung eine Art Neuanfang. Doch das war der sanften Umarmung und des Ansporns wohl schon zu viel. Koeppen reagiert auf die vorsichtige Erwähnung bereits erbrachter Leistungen, die eine Gegenleistung erhoffen, spürbar gereizt. Am 3. Januar 1961 schreibt er:
»Lieber Herr Doktor Unseld, als ich am Neujahrstag Ihren Brief empfing, habe ich mich wie immer über das Signum des Verlages gefreut und Zutrauen empfunden. Dann aber haben mich Ihre Worte verwundert, befremdet, stutzig gemacht und gekränkt. Es hätte wenig Sinn darum herum zu reden: ich habe lange über Ihren Brief nachgedacht, und ich muss Ihnen gestehen, Sie haben mich schockiert. (...) Ist dieser Zeigefinger nicht zu früh erhoben? Gewiss, mancher Schüler enttäuscht, aber er beabsichtigt es doch wohl nicht von Anfang an, und man sollte es ihm nicht schon beim Eintritt in die Klasse vorhalten. Ich fühle mich nicht befeuert und gestärkt, sondern vor den Kopf gestoßen.«
Koeppen, der scheinbar bereitwillig die Position sittlicher Unreife eingesteht, gibt sich aber nicht nur gekränkt. Im nächsten Absatz zieht er ein anderes Register und
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