Mein schwacher Wille geschehe
Selbstironie mit drei versuchten Witzen pro Seite gehört auch bei ihm zum angestrebten Textziel. Mit einer beträchtlichen Portion Anti-Narzissmus ausgestattet, hat er reichlich Fotomaterial seiner Expedition durch den Schlankheitsdschungel beigesteuert. Leute, es ist wirklich ernst. Wie Joschka Fischer präsentiert sich Bartels als Ex-Sportler, der den Zeitpunkt verpasst hat, nahtlos wieder an seine Höchstleistungen anzuknüpfen. Und so werden einstige Bestmarken aus dem Gedächtnis hervorgezottelt und Heldentaten auf dem Fußballplatz memoriert. Wer so konsequent abspeckt, muss einmal dazugehört haben. Es geht nicht nur um den Lauf zu sich selbst, man will auch zurück zu den anderen. Stephan Bartels führt den Variantenreichtum der institutionellen Unterstützung vor, die einem dabei inzwischen geboten wird. Sportärzte untersuchen die Tragfähigkeit |63| des Körpergerüstes und Fitnesstrainer geben Anleitungen, wie man zurück zur Form findet, ohne zu übertreiben. Das unkorrumpierbare Regelwerk physiologischer Gesetzmäßigkeiten wird dabei nicht selten gebeugt. Das Ende der prächtigen Erfolgserlebnisse auf der Waage war für Bartels gekommen, als er wegen seiner lädierten Knie nicht länger Fußball spielen konnte. Das Drama der Dicken besteht darin, nicht einfach nur abzunehmen. Sie treten ein in ein unhintergehbares Therapiesystem, in dem einzelne Körperteile ihre Dienste auch schon einmal quittieren können. Und auch dann ist noch nicht alles verloren. Wer nicht mehr laufen kann, muss schwimmen oder Rad fahren. Und für strapazierte Knie ist ein weiche Bewegungen erzwingender Crosstrainer besser als das Laufband. Man spürt auch bei Stephan Bartels, dass hinter dem lockeren Ton der Schweiß perlt. Man weiß längst mit dem Autor, dass das »Jahr im Schlankheitswahn«, so der Untertitel des Buches, verlängert werden muss, um nachhaltige Erfolge zu erzielen. Auch für Bartels zählt, es wenigstens versucht zu haben.
Bücher über das Abnehmen sind Stellvertreterliteratur. Die Dicken bieten sich insgesamt als Experimentier- und Exerzierfläche an, auf der man zeigt, wie dem Laster vielleicht beizukommen ist. Stellen sich Erfolgserlebnisse ein, können sie sogleich von allen genossen werden. Man hungert nicht für sich allein. Das schweißtreibende Auf und Ab formt Menschen mit unterschiedlich wechselhaften Geschichten. Wo deren Verlauf auch nach dem Selbsterfahrungsbericht noch transparent und öffentlich ist, wird deutlich, dass es das gelingende Leben nicht als beigelegte CD für den Heimgebrauch gibt.
|64| Aufschiebende Wirkung
»I’m glad it happened to me,
fell asleep in the bandroom,
woke up in history.«
Brian Wilson
Anfang der Siebzigerjahre landete die Bochumer Theater- und Filmschauspielerin Tana Schanzara einen Hitparadenerfolg mit dem Spaßlied »Vatter aufstehn«. In dem schrullig daherkommenden Sprechgesang versucht eine etwas herrische Ruhrgebietsalte, ihren trägen Mann aus den Federn zu kriegen. Aber Vatter will nicht, und das rauchige Genörgel der Tana Schanzara scheint ihm auch keinen Anreiz zu bieten, frohgemut ans Tagwerk zu gehen. Vatter rührt sich nicht. Das kann auch im Rahmen von zwei Minuten und 30 Sekunden nicht gut ausgehen. Am Ende des Songs gibt es einen lauten Knall und Tana Schanzara hebt an zum finalen Satz: »So Vatter, jetzt kannze liegenblaibn.«
»Vatter aufstehn« konnte deshalb zu einem Anti-Hit werden, weil er eine verbreitete, aber wenig charmante Schwäche zum Thema machte: bräsige Faulheit, eine quälende Körper- und Geistesstarre am Anfang des Tages und das hartnäckige Beharrungsvermögen, einfach liegen zu bleiben. Wenigstens noch ein paar Minuten. Vatters Verhalten scheint, trotz aller mitschwingenden Drohung, die es auf sich zu ziehen vermag, einem weit verbreiteten Bedürfnis zu entsprechen: endlich mal Ausschlafen. In dem rauen Malochermilieu changiert es zwischen Sünde, die man schuldbewusst in Kauf nimmt und himmlischem Versprechen, das man sich redlich verdient hat. Durch die skurrile Eskalation am Ende des Lieds – es bleibt offen, was genau geschieht – wird das Leiden an einer Ehe, in der nicht viele Worte gemacht werden, |65| in tief schwarzen Humor getaucht. Zugleich entlastet der explosive Schlussakkord von einer diskursiven Bearbeitung des Problems. Über Aufstehen und Liegenbleiben ist es schwer, ernsthaft zu sprechen – ein klarer Fall fürs Humorfach. Mit etwas feinerem Strich als Tana Schanzara hat sich etwa zur gleichen
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