Mein schwacher Wille geschehe
zweckmäßiger oder zumindest nachvollziehbarer Schritt wird vielmehr ausgesetzt. Der Witz beider Szenen erwächst aus gezielten Auslassungen und einem |68| dramatischen Gefälle an Intentionen. Es gibt nichts zu tun, und dass dies von den Männern nicht einmal als Problem angesehen wird, machen diese Beispiele paradoxer Kommunikation zu humoresken Stereotypen. Nicht zufällig fallen beide Witzversionen in die Phase einer sich gesellschaftlich durchsetzenden Emanzipationsbewegung. Das Lachen erfolgt auf Kosten anderer. Angesichts des weiblichen Aufbruchs signalisieren die Männer Schwierigkeiten, den Hintern hochzukriegen. Bloß sitzen zu wollen, scheint für den Moment keine angemessene soziale Option. Es kann Ärger geben.
Aber auch in den nachfolgenden Jahren stieg aufschiebendes Verhalten nicht sonderlich im Kurs. Wer zu spät kommt, den bestraft nicht zwangsläufig das Leben, aber er muss doch damit rechnen, den Unmut der anderen auf sich zu ziehen. Unpünktlichkeit nervt, und wer dauerhaft den Eindruck erweckt, man müsse ihm Arbeiten abnehmen, kann nicht mit sozialer Achtung und Anerkennung rechnen. Um andere Folgen des Aufschubs steht es kaum besser. Wer sich nicht entscheiden kann, der wird irgendwann nicht mehr nach seiner Meinung gefragt, und wer sich zu lange offen hält, ob er eine Einladung annimmt oder ablehnt, läuft Gefahr, beim nächsten Mal nicht mehr auf der Gästeliste zu stehen. In den meisten Alltagssituationen jedenfalls gilt es, Entschlusskraft zu gratifizieren. Wer auf andere zugehen kann, hat größere Chancen im Geschäft, beim Knüpfen von Freundschaften, aber auch in der Liebe. Nur wer den Mund aufmacht, findet die richtigen Worte, und die Millionenfrage bekommt man allenfalls dann gestellt, wenn man sich zuvor zum Quiz beworben hat. Teilhabe setzt Beteiligung voraus. Mitzumachen, initiativ zu werden, ist übrigens nicht nur eine Erwartung der anderen. Sobald man sich in Bewegung gesetzt hat, in welche Richtung auch immer, kann man dieses gute Gefühl erleben, dabei zu sein. Dass es immer wieder schwierig ist, es anzustacheln, steht auf einem anderen Blatt. Die Vita Passiva kann Folgen |69| haben. Wer nicht mitspielt, gerät wie Vatter Schanzara in Gefahr, auf drastische Weise mit seinem Liegenbleiben konfrontiert zu werden.
Dennoch geht vom Abwarten und Aufschieben eine nie ganz versiegende Anziehungskraft aus. Bundeskanzler entdecken plötzlich eine Politik der ruhigen Hand, und an der Börse wird stoische Gelassenheit als das richtige Rezept gegenüber hektischen Verkaufsimpulsen ausgewiesen. Die viel zitierten Weisheiten des ungarischen Börsengurus André Kostolany bestehen zum Beispiel aus Empfehlungen des Abwartens oder gar Vergessens. Wer Geld an der Börse investiert, so Kostolany, soll alles Mögliche tun. Nur sollte er es unterlassen, sich der Pflege seines Depots zu widmen. »Einer Straßenbahn und einer Aktie«, so Kostolany, »darf man nicht nachlaufen. Die nächste kommt bestimmt.« Der Geduld, dem Abwarten und dem Nichtstun werden geheime Kräfte und unbekannte Wonnen unterstellt, und tatsächlich widerfährt dem Aufschiebenden bisweilen das Glück, vom Schicksal reichlich bedacht oder wenigstens verschont zu werden.
Aber das Schicksal kann auch unerbittlich sein, und Probleme mit dem Aufstehen werden keineswegs nur von der literarischen Gattung des Witzes bearbeitet. Eine der berühmtesten Erzählungen der Weltliteratur behandelt die Unfähigkeit, am Morgen die Glieder zu bewegen und die Beine aus dem Bett zu bekommen. »Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte«, so beginnt Franz Kafkas berühmte Erzählung »Die Verwandlung«, »fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.« 7 Während der Volksmund es gewohnt ist, das Aufstehen mit allerlei Metaphern (aus den Federn kommen) und Traumassoziationen zu versehen, besteht die Pointe Kafkas darin, eine bildliche Darstellung radikal zu unterlaufen. Es ist nichts geträumt, die Verwandlung hat stattgefunden. Alles ist wirklich. »Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und das trübe Wetter – man hörte Regentropfen auf das Fensterblech |70| aufschlagen – machte ihn ganz melancholisch.« Auch Gregor dachte natürlich daran, sich noch einmal zurückzuträumen, um die Trägheit abzuschütteln. »Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße, dachte er, aber das war gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt, auf der rechten
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