Mein schwacher Wille geschehe
Physiologen. Im Beratungsgeschäft, in das er sich mit dem Buch unweigerlich begeben hat, ist das keine |58| untypische Einstellung. Es erhöht die Glaubwürdigkeit erheblich, wenn der Kampf mit dem inneren Schweinehund aus eigenem Antrieb und ohne professionelle Unterstützung aufgenommen wurde. Der hässliche Mungo, der so lange schwer auf den Schultern lastete, wird, glaubt man der einschlägigen Bekenntnisliteratur, zu Beginn mit einem mehr oder weniger ungeschützten Überraschungsangriff attackiert. »Ich traf diese sehr weitreichende Entscheidung«, schreibt Fischer, »in jener einen Sekunde (es war tatsächlich nicht mehr an Zeit notwendig), an die ich mich noch sehr genau erinnern kann, denn in derselben Sekunde wusste ich auch, dass ich zu meiner alten körperlichen Verfassung, zu meinem idealen Kampfgewicht des Jahres 1985 zurück wollte, als ich noch nicht fett, schwer und kurzatmig war, zurück zu einer Zeit also, in der ich mich selbst noch wohl gefühlt hatte in meiner eigenen Haut.«
Äußerlicher Anlass dieser plötzlichen Erweckung war eine seelische Krise, »denn dass mich meine Frau verlassen hatte, schlug mir nachdrücklich auf den Magen ...«, so Joschka Fischer. Er beschreibt sich als Instinktmensch, der sich von seinem Bauchgefühl leiten lässt, wie er es sehr erfolgreich auch in seinem politischen Leben getan hat. Doch für den Typus des Umprogrammierers, für den Bewusstseinswandel kein mystisches Erlebnis, sondern eine klare Willensentscheidung ist, ist es damit nicht getan. »Die Zeit der spontanen, durch die äußeren Umstände begünstigten Entscheidungen ging zu Ende: Ein Plan musste nunmehr her!« Wer mochte, konnte und sollte darin auch Fischers Politikbegriff wiedererkennen. Die bessere Gesellschaft gibt es nur mit eiserner Disziplin und kleinen Strafgebühren wie Dosenpfand und Ökosteuer. Für Fischers Laufpensum folgten daraus die hart formulierten Grundsätze: »Entschlossenheit, Durchhaltevermögen, Realismus, Geduld waren die vier Tugenden, auf denen fußend ich drei Grundsätze formulierte, die mir in den folgenden Monaten von großem Nutzen sein sollten:
|59| Belüge Dich niemals selbst!
Meide immer Deine Leistungsspitze!
Gib niemals auf!«
Zu Fischers 60. Geburtstag im Frühjahr 2008 hätte man als öffentlicher Gratulant auf die Idee kommen können, dessen gesamte politische Karriere als einen dieser Regel folgenden Steigerungslauf, dem auch etwas von Kadettenschule anhaftet, zu deuten. Was Fischer zu einem typischen Bekämpfer des inneren Schweinehunds macht, ist sein beharrlicher Rigorismus. Er beschreibt sich als einen, der geradlinig seinen Weg verfolgt und sich selbst gegenüber unnachgiebig ist. »Die bewusste Umprogrammierung ist dabei der alles entscheidende Unterschied, denn die persönliche Krise allein führt nicht mit Notwendigkeit zu diesem Ergebnis. Hierzu bedarf es vielmehr einer weitreichenden, einer bewussten und gewollten Entscheidung.«
Betrachtet man das gegenwärtige Erscheinungsbild des Ministers a.D., dann wäre es leicht, dem Autor des Buches von 1999 mit einiger Häme vorzurechnen, dass er die Einhaltung seiner Grundsätze irgendwann aus den Augen verloren haben muss. Joschka Fischer hat es sich wieder schmecken lassen, und das Lauftraining hat er auch im politischen Ruhestand in der einstigen Intensität nicht wieder aufgenommen. Der Läufer Fischer, so könnte man geneigt sein festzustellen, hat sich gehen lassen. Zumindest dürfte er sich nicht mehr sehr heftig dagegen gewehrt haben, wenn er versucht war, sich selbst zu belügen. Wer eigene Gewichtsprobleme je auf vergleichbare Weise bekämpft hat, lässt jedoch bereitwillig von solchen Bemerkungen ab. Die Bemühungen, sein einmal erreichtes Gewicht zu halten – und das muss noch lange nicht das so oft beschworene Idealgewicht sein -, sind buchstäblich ein Langstreckenlauf. Typisch ist an Fischers Laufbericht jedoch jene beinahe aus jeder Zeile hervorspringende Gewissheit, nie wieder ein Opfer jenes so gemeinen Jojo-Effektes zu |60| werden, der den Dicken nach erfolgten Abnahmeprozessen am Ende nur noch dicker macht. Zum Typus des Umprogrammierers gehört es, dass Jojo im Programmverlauf nicht vorgesehen ist. Der lange Lauf zu sich selbst findet aber auch auf Umwegen und Seitenpfaden statt und hört auch nach dem Diktat nicht auf. Jojo aber ist der gemeinste Laut, den der innere Schweinehund nach einer längeren Zeit wieder von sich gibt, in der man ihn schon abwesend glaubte.
Die
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