Mein schwacher Wille geschehe
wechselt auf die geschäftliche Ebene. »Mein Grübeln lässt mich vermuten, dass Sie den Abschluss unseres Vertrages inzwischen vielleicht bedauern, das Vertrauen zu mir aus irgendeinem Grunde verloren haben könnten. Das wäre traurig; aber wenn es so ist, sollten wir schleunigst alles rückgängig machen. Ich würde mich Ihrem Wunsch nicht widersetzen.« Koeppen ist ein Meister in der Temperierung emotionaler Wechselbäder. Vom kühlen, in seiner Ehre gekränkten Geschäftsmann, der zu hohem Risiko bereit ist, kehrt er alsbald in die Rolle des willigen Vertragserfüllers zurück. »Meine Pläne sind die alten. Ich will den Roman schreiben. Ich werde ihn schreiben. Ich werde anderes schreiben, und ich glaube an meine literarische Zukunft, die ich gern bei Suhrkamp sah.«
Koeppens hoher Einsatz verfehlte seine Wirkung nicht. Unseld reagierte nicht per Brief, sondern suchte Koeppen persönlich auf. |75| Im darauf folgenden Brief geht es bereits wieder um praktische Dinge und die Bitte Koeppens, die Zahlungen des Verlages über ein Münchner Postscheckkonto abzuwickeln.
In immer wieder neuen, oft kunstvollen Wendungen teilt Koeppen seinem Verleger mit, dass der ersehnte Roman nicht fertig geworden ist. »Lieber Herr Doktor Unseld«, schreibt Koeppen am 15. August 1961, »ich muss Ihnen endlich schreiben, dass der Plan, noch in diesem Herbst ein Buch herauszugeben, misslungen ist. Es war ein guter, es war ein freundlicher Plan von Ihnen, aber ich habe es nicht geschafft.« Der gewieft, forsch und selbstbewusst auftretende Vertragspartner entpuppt sich nun als ein gequält Versagender. Nein, als ein Versager würde Koeppen sich gewiss nicht bezeichnen. Im Eingeständnis der Niederlage tut er seinem verzweifelt wartenden Verleger kund, dass genialische Ideen in ihm schlummern.
»Ich war aus der Bahn geworfen, und am besten wäre es gewesen, sich zu betrinken. Ich tat es nicht. Ich überließ mich einem anderen Laster. Ich fing in der Panik an, einen Roman meines Unbehagens zu schreiben. Dieser kleine Roman ›Theseus, fast nichts‹ entwickelte sich und verführte. Ich glaubte, noch mit einem Manuskript zu Ihnen kommen zu können. Jeder Gang über die Straße brachte Frucht zum Tisch. Selbst noch der Lärm des Appartements regte an. Aber auch diesmal stimmte die verhängnisvolle Milchmädchenrechnung nicht: ich muss täglich acht Seiten schreiben, um dem Verlag zweihundertfünfzig geben zu können. Mit dem Fernrücken, mit der Unerreichbarkeit des Ziels erlahmte dann auch allmählich der anfängliche Schwung. Der Einfall war, er ist nicht schlecht. Aber selbst für diese kleine, recht melancholische Geschichte brauchte ich noch zwei Monate. Und sollte man da nicht die ganze Kraft an das wirkliche Werk wenden?«
Koeppen gewährt seinem Verleger tiefe Einblicke in die Mechanismen seines Scheiterns, der Unmöglichkeit, am Morgen |76| aufzustehen, sich zu erheben und etwas Zusammenhängendes zu Papier zu bringen. Trotz aller Raffinesse, die er darauf verwendet, sich seinen Verleger gewogen zu erhalten, wird jedoch klar, dass Koeppen keinen Genuss aus der dauerhaften Alimentierung zieht. Die Briefe verfasst kein gerissener Hochstapler, der sich durchs Leben zu schlagen weiß, sondern ein an seinen Talenten Leidender. Der berühmte
writer’s block
ist auch ein Kunstwerk, das so oder so behauen werden kann. In den Briefen lässt Koeppen die Kunstfertigkeit seiner schriftstellerischen Begabung stets durchblicken. Im Handumdrehen entwirft er ein kleines Romanprojekt einzig und allein nur, um es als Grund dafür anführen zu können, dass es letztlich zum Aufschub des großen beigetragen hat. Schuldeingeständnis und Größenwahn liegen stets dicht beieinander. Koeppen weiß gut über seine Schwäche Bescheid, aber die Einsicht in die Mechanismen seines Scheiterns verlängern nur den Zustand, im Aufschub zu verharren.
»Da steht es so: ich muss mich dazu bringen, unbeirrt, unabgelenkt mit Geduld zu arbeiten. Jede dieser Rechnungen, acht, sechs, vier Seiten am Tag, führt zur Niederlage. Ich muss mich aus dieser Verstrickung befreien! Ich muss es gut finden und zufrieden sein, wenn es nur zwei Seiten wurden, und ich muss bereit sein, diese vielleicht am nächsten Morgen zu verwerfen. Ich brauche Ruhe, um meine Unruhe darzustellen.« Doch die rein technische Einstellung zu der Frage, wie die Misere zu beheben sei, schlägt um in Schuldgefühle und Selbstmitleid. »Sie haben mir die Möglichkeit dazu geboten, aber ich habe sie
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