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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Nutt
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bisher nicht richtig, nicht klug genützt.« Für einen neuen Anlauf, die Möglichkeiten vielleicht doch noch klug zu nützen, ist es nun allerdings zu spät. Koeppen rechnet, nachdem er seine prekäre Situation so virtuos darzustellen in der Lage gewesen ist, mit der Nachsicht seines Verlegers. »Ich bin jetzt so weit zu sagen, dass ich den ersten Band des größeren Romans nicht vor Ende März fertig haben werde. Ich hoffe auf Ihr Verständnis.«
    |77| Dem sanften Verleger bleibt nichts anderes übrig, als dieses Verständnis aufzubringen. Längst hat Koeppen ihn in das labyrinthische Gebäude seines Befindens hineingezogen. Wenn jetzt Mahnungen ergehen, stabilisieren sie mehr die gegenseitige Verstrickung als dass sie Auswege eröffnen. »Wenn Sie ein Manuskript oder einen Teil fertig stellen können« schreibt Unseld am 18. August 1961«, muss alles bei Ihnen liegen, Sie sollten sich nicht mehr festlegen, nur müssten Sie radikal allen Ablenkungen, jeder Art von Reisen, Lesungen und Konferenzen entsagen. Ich glaube, nur so werden Sie die innere Ruhe für die Unruhe Ihres Schreibens finden.«
    Koeppen kann sich nun dessen gewiss sein, dass äußere Bedrängungen nun nicht länger auf ihn einprasseln. Die guten Ratschläge nimmt er dankbar an, übergeht sie aber souverän. Schon im nächsten Brief kündigt er an, dass er nun einige Zeit nicht gut zu erreichen sein wird. Man kann in diesem einzigartigen Dokument einer Beziehung, in der Aufschub das bestimmende Moment ist, hin und her springen. Auf fast jeder Seite finden sich Ausflüchte, Entschuldigungen, Zurückweisungen und fein verwobene Störungen in der Kommunikation. Auch Jahre später versucht es Unseld noch einmal mit wirtschaftlichem und moralischem Druck. Die gemeinsame Arbeit am ausbleibenden Werk hat längst auch eine beträchtliche ökonomische Dimension angenommen. Am 17. März 1964 schreibt er:
    »Wir nähern uns mit dieser Zahlung nun dem achtzigsten Tausend, das ist ein Betrag, wie er sicher in dieser Höhe noch nie einem Autor vorgeschossen wurde. Darüber mache ich mir meine Gedanken, wie Sie es tun. Ob wir diese Zahlungen fortsetzen können, hängt nun doch sehr von der Tatsache ab, ob wir nun wirklich am 15. April einen Blick in das Manuskript tun können, das werden Sie sicherlich verstehen. Selbst wenn wir am 15. April noch nicht alles lesen könnten, wäre mir dann doch an einem größeren Teil gelegen.«
    |78| Die Frist verstreicht, und Koeppen ist nun nicht zu erreichen. Ende April bittet er kleinlaut noch um ein paar Tage Aufschub, die Herausgabe von Teilen des Manuskripts lehnt er jedoch ab. Es würde, so schreibt er pathetisch, die ganze Arbeit gefährden. Ende Juni muss sich der Autor schließlich offenbaren. Am 23. Juni 1964 schreibt er: »Es ist leider doch so gekommen, dass ich in große Verzweiflung fiel, alles für misslungen hielt und zur Strafe von entsetzlichen täglichen Kopfschmerzen heimgesucht wurde; bis ich dann in einer helleren Stunde das Geschriebene doch wieder gelten ließ, mich nicht untergegangen und immerhin dem Ufer zutreiben sah. Jedoch, wie soll ich das erklären?« Kein Roman, nicht einmal der Torso eines Textes. Wohl aber eine beiderseitige Bereitschaft, das Drama auf hohem Niveau fortzusetzen. Gut fünf Jahre später hat sich die finanzielle Lage des von Suhrkamp ausgehaltenen Autors verschärft. »Lieber Herr Dr. Unseld«, schreibt Koeppen am 29. September 1969, »ich weiß nicht, wie es weitergehen kann. Keine Mark, Schulden, Gläubiger, drohende Sperre des Lichts und des Telephons, kein Geld für die Miete, die Versicherungen gekündigt.« Und selbst Unseld scheint gelegentlich der mehrfach geflickte Geduldsfaden zu reißen. »Ich kann Ihnen nur noch helfen, wenn ich ein Manuskript habe. Nun zeigen Sie doch der Welt, dass Sie schreiben können. Immer wieder lese ich wirklich großartige Prosa von Ihnen. Warum nicht diese lächerlichen 60 oder 100 oder 200 Seiten? Das ist doch einfach nicht einzusehen. Warum setzen Sie sich nicht wirklich ernsthaft hin und schreiben dieses Manuskript?«
    Der Autor gibt darauf keine Antwort. Der Roman wird nie geschrieben. Anfang des Jahres 1972 sind Autor und Verleger dafür zum Du übergegangen. Die frühen Romane können nun auch bei Suhrkamp veröffentlicht werden. 1976 erscheint eine Erzählung Koeppens unter dem Titel
Jugend
, die in der literarischen Welt für Furore sorgt. Zahlreiche Feuilletons, Interviews und Studien sind inzwischen über Koeppens ungeschriebene

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