Mein schwacher Wille geschehe
Herausforderung dar. Packard verstand sein Buch nicht einmal als Konsumkritik. Er wollte ein Aufklärungsbuch über die noch junge Branche der Motivationsforschung geschrieben haben, die vor dem Nazi-Regime geflohene österreichische Emigranten mit der Freudschen Psychoanalyse im Gepäck, entwickelt hatten. Allen voran ein Mann mit dem klingenden Namen Ernest Dichter.
An Packards Klassiker, der in keinem Zitatapparat heutiger Konsumkritik fehlen darf, fällt eine Milde der Beschreibung auf, die weit davon entfernt ist, den Konsumterror mit theoretischen |96| Waffen zu bekämpfen. Der Text ist nicht zuletzt unterhaltsame Literatur, die Pannen, Kuriositäten und Fehlannahmen der tief in die Konsumentenseele blickenden Marketer zum Vorschein bringt. Die allwissende Forschung muss immer wieder feststellen, dass das erforschte Subjekt macht, was es will. Der Konsument wehrt sich dabei weniger gegen die Durchleuchtung, als dass er den erwarteten Ergebnissen und Annahmen beharrlich nicht entspricht. Derlei Unberechenbarkeit hat seit jeher auch den totalitären Systemen zu schaffen gemacht. Wenn der Konsumismus, wie viele Kulturtheorien nachzuweisen versuchen, ein solches ist, hat er hier seinen fast irreparablen Systemfehler. Die Widerstandsfähigkeit gegen den Konsumismus erwächst aus der strukturellen Offenheit des Systems. In diesem Sinn hat auch der Medienwissenschaftler und Philosoph Norbert Bolz sein »konsumistisches Manifest« verfasst. Erfolgreiche konsumistische Systeme, so Bolz, sind der beste Abwehrschirm gegen politische Totalitarismen und religiösen Fundamentalismus. Wohlstand für alle wappnet gegen düstere Partikularismen. »Auf dem Markt«, schreibt Bolz, »reflektieren Konkurrenten auf ihre Tauschchancen (...) Der Tausch mit den Feinden emanzipiert die Menschen aus den traditionalen Strukturformen sozialer Beziehungen. Man könnte also von einer Menschwerdung des Menschen auf dem Markt sprechen. Und eben das ist Zivilisation: Der Feind wird zum Konkurrenten, und die Brüderlichkeit löst sich in Kundschaftsverhältnisse auf.« 18
Ein Phänomen, das die Konsumforscher der frühen Jahre ratlos machte, waren Packard zufolge die so genannten Impulskäufe. »Einer jener Motivationsanalytiker, die gern wissen wollten, warum in Selbstbedienungsläden die Impulskäufe so stark anstiegen, war James Vicary. Er vermutete, dass beim Einkaufen in Selbstbedienungsläden in den Frauen psychologisch etwas Besonderes vorgehen müsse. Vielleicht, so meinte er, unterliegen sie erhöhter innerer Spannung, wenn sie sich so vielen Möglichkeiten |97| gegenüber sehen, so dass sie sich zum raschen Einkaufen gedrängt fühlen.« 19 Das Gegenteil war aber der Fall. Mit Hilfe von Beobachtungskameras bekam Vicary heraus, dass die Lidschlaghäufigkeit sank, wenn die Hausfrauen die Läden durchstreiften. Denkt man sich das Kaufhaus als einen gesellschaftlichen Ort unterschiedlich ausgesteuerter Erregungszustände, so stellte Vicary fest, dass es sich um eine Art Ruheraum handelt. Die beobachteten Hausfrauen gerieten in eine Art Trance und griffen deshalb zu Dingen, von denen sie die wenigsten brauchten.
Die Verkaufspsychologie, das ist die frühe Lehre aus Packards Branchenreport, muss auf Kontingenz gefasst sein. Die Forscher werden immer wieder von neuen Entwicklungen überrascht, erst recht, wenn ein Wandel gesellschaftlicher Konventionen heraufzieht. Manche Psychologen behaupten, so Packard, das Frauenauge werde am raschesten von rot verpackten, das Männerauge von blau verpackten Waren angezogen. Ein Verpackungsgestalter behauptete Packard zufolge, »die Mehrzahl der einkaufenden Frauen lasse die Brille zu Hause oder werde sie, solange es irgendwie vermeidbar sei, niemals in der Öffentlichkeit tragen. Um erfolgreich zu sein, müsse sich daher eine Verpackung vom verschwommenen Wirrwarr abheben.« Packard konnte in den späten Fünfzigern allerdings nicht ahnen, dass das Tragen von Brillen nicht auf Dauer mit menschlicher Eitelkeit kollidierte, sondern zunehmend zu modischen Distinktionsgewinnen verhalf. Der permanenten Verwandlung der Annahmen ist es zu verdanken, dass die Branche der Markt- und Trendforscher trotz aller konjunkturellen Schwankungen keineswegs gefährdet ist.
Eine wichtige Übung besteht heute darin, das weithin in Konsumkritik geschulte Publikum nicht gleich mit den billigsten Tricks der Verführung zu unterfordern. Niemand will mehr nur konsumieren. Man möchte vom und beim Konsum auch intelligent
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