Mein schwacher Wille geschehe
vernünftigen Argumenten verfolgt.
Wo einfacher Konsum war, regiert nun ein nie nachlassender Zwang des Sich-Kümmerns, als käme es darauf an, den Kapitalismus nicht einfach sich selbst zu überlassen. So naiv möchte nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte niemand mehr sein, selbst wenn nur die Portokasse auf dem Spiel steht. Das Schnäppchen, das immer auch eine Lebenschance unterprivilegierter Schichten war, ist als Smart-Shopping zur zwanghaften Mittelstandsoption geworden. Der obszönste Ausdruck einer solchen Haltung bestand zuletzt in der Wahrnehmung von Dumpingangeboten für den Einkaufsflug nach Mailand für 9,99 Euro. Wo eine Städtereise zum Preis eines Doppelwhoppers mit Pommes zu haben ist, wird der mit theoretischer Inbrunst bekämpfte Konsum zum albernen Einkauf nach dem Prinzip des Losverfahrens. Die Aussichten, ein Ticket zu ergattern, sind gering, die tatsächlichen Begleiterscheinungen eines solchen Fluges eher unkomfortabel. Der ganze Triumph besteht bereits in der geglückten Buchung. Die konsumistische Befriedigung erwächst nicht mehr aus dem Verbrauch der Ware, sondern aus der Konsumption des Preises. Das Schnäppchen, das im Kern noch zum Ideal eines vernunftorientierten |103| Konsums gehört, ist Konsumismus als Perversion. Nach einem Moment der Erregung erfolgt der Spannungsabfall bereits an der Kasse. Aber genau in diesem Moment tritt die enorme Lernfähigkeit des Konsumismus zutage. Das Schnäppchen erscheint als eine Art hämischer Parodie auf die zu keinem Zeitpunkt plausible Unterscheidung zwischen innengeleitetem und regressivem Konsum.
Die größte Gefahr für den Konsum ist die Konsumermüdung, die sich selbst den feinsten Methoden der Marktbeobachtung entzieht. Die Zähigkeit des Kunden, den man allzu oft in der Opferrolle wähnt, besteht in seiner Unzuverlässigkeit. Trotz aller rationalen Gebote scheint dem Kaufvorgang etwas innezuwohnen, das für permanente Kurzschlüsse und Überraschungen sorgt. In der Praxis funktioniert Konsum denn auch als äußerst variantenreicher Kompromiss zwischen Wahl, Korrektur und Entschluss.
Bleibt mit oder gegen Autoren wie Benjamin Barber also nur Resignation? Wenn das Pathos des Konsumverzichts keine Lösung ist, dann hilft wohl nur der Eintritt ins Spiel der Verführung. Mit Tokio Hotel könnte man also singen: »Durch den Konsum, hinter die Zeit.« Wer nicht im Regen stehen bleiben will, soll das wohl heißen, muss die Intensitätsgrade des Regens kennen lernen. Wer sie aber kennt, der weiß, dass es darauf ankommt, sich nicht gleich von den ersten Tropfen erschüttern zu lassen.
|104| Über die Verhältnisse
»Wer viel Geld hat, kann spielen.
Wer wenig Geld hat, darf nicht spielen.
Wer kein Geld hat, muss spielen.«
André Kostolany
Wenn am Ende des Geldes immer noch sehr viel Monat übrig ist, dann gewinnt das Grübeln darüber an Raum, was man regelmäßig oder so nebenbei alles ausgibt. Fast immer ist es mehr als gedacht. Hier noch eine Handygebühr, da noch das Premiere-Abo. Was man halt alles so braucht oder sich leistet. Der Wirtschaftsbürger will versorgt und vernetzt sein, aber sobald das Hauhaltsbuch aufgeklappt wird, werden die darin verzeichneten Dinge wundersam wie die dunklen Märchen der Gebrüder Grimm. Angesichts der eigenen Lage kann es einem mitunter gruselig werden. Und hinzu gesellen sich noch die Kosten, die man beinahe schon vergessen hatte. Sie kommen plötzlich und ungelegen zum Vorschein und sind klebrig wie Baumharz. Der Leasing-Vertrag fürs Auto wurde erst vor einigen Monaten abgeschlossen. Da kommt man jetzt, wo es eng wird, gar nicht so schnell raus. Zunächst hat man es nicht recht bemerkt, aber dann kommt es ganz dicke. Das eigene Leben, das so luftig und leicht anmutete, gerät nun fest in den Griff der Einzugsermächtigungen. Das meiste Geld, wusste schon Wilhelm Busch, wird man beim Bezahlen los.
Wenn dieser Zustand sich nicht bereinigen lässt, trifft man irgendwann auf jemanden wie Frau Westhoff. Sie ist Privatkundenberaterin bei einer Sparkasse und spricht ganz leise und förmlich, wenn sie einem etwas angespannt wirkenden Kunden gegenübersitzt. »Eine erneute Erhöhung der Kreditlinie ist leider nicht möglich«, sagt sie dann. Der Privatkunde hat seine Argumente |105| (vorübergehender Engpass, außergewöhnliche Zahlung, aber erst in einem halben Jahr) bereits hergesagt. Er muss sich eingestehen, dass er nicht allzu überzeugend gewirkt hat. Dabei geht es ihm nicht nur um das leidige
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