Mein schwacher Wille geschehe
behutsam ausgesteuertes Raumklima abgekühlt. Zu diesem Gefühl tragen nicht zuletzt die Ankleidekabinen bei durch ihre großzügige Gestaltung. Jede Assoziation muffiger Verschwitztheit, die einen in den gewöhnlichen Kabinen auf den körperlichen Makel zurückverweisen und das Anprobieren der dritten und vierten Hose zu einer Qual machen, wird vermieden. Eleganz kommt hier zu sich, indem sie vom trügerischen Objektfunkeln der neuesten Kollektion entfernt. Die Raffinesse der Szene entsteht gerade dadurch, dass die naheliegende Umgarnung des Kunden ausgelassen wird.
Die Erzeugung eines konsumistischen Kontrollverlustes gehört nur noch bedingt zu den bevorzugten Strategien langfristiger Kundenbindung. Bedenkt man den unermüdlichen Aufwand, der zur Erweckung der Kundenaufmerksamkeit betrieben wird, so dürfte Marketingstrategen nichts langweiliger sein als ein leicht auszurechnender Kunde. Alle Kunst der Produktoptimierung zielte wohl ins Leere, wenn der Kunde als bloße Beute am Verkaufsstand herumlungerte. Das lustbetonte Spiel der Verführung hat nur Aussicht auf Dauer, wenn es wechselseitig und mit gleich bleibender Inbrunst verfolgt werden kann. Nichts wäre im Augenblick der sorgsam aufgebauten inneren Spannung schlimmer als die Entdeckung, für einen willfährigen Alleskäufer gehalten zu werden. Das Umschleichen der Ware erfolgt nach ebenso komplizierten wie rätselhaften Mustern der Anziehung, Abstoßung und Wiederannäherung. Die geheimen Mechanismen der Verführung mögen unendlich oft zum Ziel führen, sie können aber auch unwiderrufliches Scheitern bergen. So spontan der Kaufentschluss bisweilen sein mag, so plötzlich kann sich auch |101| die Konsumverweigerung einstellen. Letzteres gilt vor allem für das Nischensegment des Luxuskonsums. Die Billiganbieter setzten unterdessen auf den Impuls, sich nichts entgehen zu lassen. »Ich bin doch nicht blöd.«
Alle Untersuchungen über Kaufrausch und -zwänge stellen Überlegungen über den Aufbau innerer Spannungen beim Einkauf an, die wieder abfallen, solange man nicht kauft. Doch ohne die Mechanismen innerer Spannung kommen selbst aufgeklärter und intelligenter Konsum nicht aus. In der Werbung hat die Beschwörung des Konsumenten als vernunftbegabtes Wesen ihren angestammten Platz. Wer will schon gern ein dummer Kunde sein, ferngesteuert und leicht verführbar? Und so gibt es ein breites Angebot für kühle Rechner und haushaltsbewusste Marktbeobachter. Im Supermarkt der Wahlmöglichkeiten scheint unter Strafe zu stehen, dass man es sich mit seinen Gewohnheiten bequem macht und den jederzeit gebotenen Wechsel zum nächsten Produkt unterlässt. Nichts kommt mehr nur aus der Steckdose. Alles muss dem eigenen Benutzerprofil, das gegebenenfalls noch zu ermitteln ist, angepasst werden. Der mit Rationalität gedopte Kunde erlebt keine Rauschzustände, sondern leidet an Kontrollzwängen. Unter Anleitung der Stiftung Warentest ist ein Konsumententypus konstruiert worden, der als innengeleiteter Charakter im Sinne des amerikanischen Soziologen David Riesman seine Bedürfnisse beherrscht und kalkuliert zu Markte trägt.
Seit der Sozialstaat an seine Grenzen gestoßen und der Konsum zur Bürgerpflicht erhoben worden ist, hat die Irritationsdichte erheblich zugenommen. Überall werden Konjunkturprogramme gestrickt und wieder aufgeribbelt. In seiner letalen Phase erweist sich der Kapitalismus als Patient, dem dringend geholfen werden muss. Das einfache Modell, demzufolge schwache Subjekte in den Bann des schönen Scheins gezogen werden, beschreibt die wirtschaftliche Realität kaum angemessen. Die gesellschaftliche Erwartung, dass konsumiert wird, kreuzt sich mit |102| mannigfaltigen Anforderungen an das Wie des Konsums. Wer nicht als willfähriger Allesverbraucher dastehen will, ist aufgefordert, über den passenden Strommix Bescheid zu wissen, sollte wöchentlich den Handytarif wechseln und sorgsam den Kauf von Flaschengetränken kalkulieren. Ökologische Interventionen sind mittlerweile die perfidesten Marktregulatoren, was dem flächendeckenden Erfolg der Konsumkritik zu keinem Zeitpunkt geschadet hat. Aus dem Subjekt der Begierde, das es zu verführen galt, ist ein Getriebener der Produktaufklärung geworden, den Preisagenturen, Ebay-Versteigerungen im Internet und Stiftung Warentest mit nie nachlassendem Bescheidwissertum zu Leibe rücken. Neben den Konsumzwang ist eine Verpflichtung aufs Schnäppchen getreten, die den streunenden Verbraucher mit
Weitere Kostenlose Bücher