Mein schwacher Wille geschehe
unterhalten werden. Zum Kauf einer Ware hat der ausgebildete Konsument als Anhang längst den Wirtschaftsteil seiner |98| Zeitung parat. Man trinkt Bionade nicht nur, um sich zu erfrischen, sondern auch, um an der wechselvollen Geschichte vom Auf und Ab eines vergleichsweise jungen Unternehmens zu partizipieren. Daraus ist ein subtiles Spiel vielfältiger Marktkomplikationen entstanden. Konsumterror und Konsumkritik sind derart ineinander verschränkt, dass sie längst neue Modelle auf den Plan gerufen haben, die Konsum zuallererst als ästhetisches Phänomen behandeln. Mode ist in diesem Spiel nicht mehr bloß die Variation von Wiederholungen bereits dagewesener Gestaltungsformen. Die Retrotrends folgen vielmehr einem ausgeklügelten Distinktionsspiel der Popkultur, in dem Dinge gehen oder nicht gehen. Trends können ökonomisch erfolgreich und etabliert, dabei aber äußerst uncool sein. Streetcredibility folgt Maßstäben, die als geschlossener Kreislauf jenseits der üblichen Markt- und Markengesetze verlaufen. Bestimmte Marken können erst reüssieren, nachdem sie durch das Drachenblut der Konsumkritik gegangen sind. Naomi Kleins Schlagwort »No Logo!«, das einen radikalen Konsumverzicht mit ökologischer und sozialer Produktionskontrolle kurzschließt, war letztlich eine äußerst erfolgreiche Selbstbehauptung auf dem Markt der öffentlichen Aufmerksamkeit und des Rederechts.
Der in postbildungsbürgerlichen Kreisen beliebte Versandhandel Manufactum, der den Slogan »Es gibt sie noch, die guten Dinge« führt, lebt zu nicht geringen Teilen von dem Ruf, Produkte jenseits jeglicher Marktoptimierung zu vertreiben. Traditionell gefertigte Waren werden hier mit der Patina des Altmodischen veredelt und wiederbelebt. Es gibt sie noch, die guten Dinge, aber sie sind das Ergebnis eines entdeckerischen Kapitalismus, der in der Lage ist, seine Archive zu durchforsten. Dieselben Mechanismen geschickter Kombinatorik greifen auch auf den Märkten des Trash. In bestimmten Partykreisen waren vor einiger Zeit synthetische Mixgetränke wieder aufgetaucht, der fast schon vergessene Fruchtsirup Tritop wurde vorübergehend |99| zum Kultgetränk. Ein beträchtliches Segment des Wirtschaftslebens ließe sich in diesem Sinn als ästhetischer Konsum beschreiben, der die vielfältigen Wahlmöglichkeiten mit Verzicht, Enthaltsamkeit und Konsumunterbrechung kombiniert. Die Wünsche, die vorm Kaufakt stimuliert werden sollen, sind komplexer Natur. »Jedes Kind«, schreibt Norbert Bolz, »kennt ja die Geschichte von dem, der drei Wünsche frei hatte. In der Geschichte geht es im Kern um den Wunsch, bessere Wünsche zu wünschen. Und die Werbung erzählt solche Geschichten, die den Wunsch nach besseren Wünschen wecken, für Erwachsene. Und für die vielen, denen die Werbewelt selbst schon lebbare Wirklichkeit geworden ist, gilt dann: Das Beste am Leben sind die Geschichten über das Beste am Leben.«
In seiner beiläufigen Art des Warenzeigens hat sich das Berliner Kaufhaus Quartier 206 weitgehend vom Produktarrangement herkömmlicher Kaufhäuser gelöst. Folien und Verpackungen sind beseitigt, Kleidung wird hier im gebrauchsfertigen Zustand feilgeboten. Es fehlt nicht viel, dass die Ware in den Besitz des Betrachters übergehen kann. Die Kostüme, Anzüge und Accessoires werden nicht im Sinne eines buchstäblichen
pret-à-porter
ausgestellt, sie erwecken vielmehr den Anschein, als gehörten sie einem bereits. Das Gesehene nicht schon zu besitzen, ist für kurze Momente der einzige Makel der Szene. Das Augenmerk liegt nicht auf dem schönen Schein des kürzlich erst in die Welt gekommenen Produkts, sondern in der Behaglichkeit des Verbrauchs. Der Konsument durchstreift das Quartier 206, das im Stil eines salonartigen Wohnensembles eingerichtet ist, als Passant, der er stilvollendet erst dann ist, wenn das schicke rautierte Tütchen an seinem Arm baumelt.
In der Welt des Quartier 206 ist man nicht primär Kunde, sondern Teilhaber an einem sozialen Ritual. Man ist Bewohner eines konsumistischen Viertels, hier zu kaufen verheißt Zugehörigkeit. Die Waren hingegen affizieren, indem sie eine Situation anspielen, |100| in der der Kaufvorgang schon stattgefunden haben könnte. Das Quartier 206 verlegt die Kaufhandlung ins Futur II: Es wird gekauft worden sein. Nichts erinnert mehr an das Gedränge und das Greifen am Wühltisch nach dem günstigen Hemd. Vom viel zitierten Kaufrausch kann nicht die Rede sein. Alles Rauschhafte scheint durch ein
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