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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Nutt
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andere auf sich warten zu lassen. Es unterstreicht die eigene Bedeutung und fungiert als Testfall sozialer Elastizität. Je mehr Zeit zu einer gesellschaftlich knappen Ressource geworden ist, umso stärker ist Pünktlichkeit als Ausdruck bloßer Höflichkeit vernachlässigt worden. Man tut, was man kann, und kommt gegebenenfalls zwanzig Minuten später.
    Die Bandbreite des Zuspätkommens ist nicht zu unterschätzen. Wer zu spät kommt, benötigt Charme, die Wartezeit kann durch eine besonders galante Entschuldigung wieder wettgemacht werden. Während Pünktlichkeit die Peinlichkeiten heraufbeschwörende gleichzeitige Ankunft bedeutet – wer spricht zuerst? Welche Richtung schlägt man ein? – ermöglicht die Verspätung eine stilvolle Ausarbeitung der Begegnung. Man hat sich vorher zurechtgelegt, wie man die Verspätung zur Gesprächseröffnung nutzt. Während auf Seiten des Wartenden Nachsicht ebenso möglich ist wie Sarkasmus oder Ironie, wirft der Zuspätkommer eine gehörige Portion seiner Selbst in die Waagschale. Wer zu spät kommt, macht den Anfang.
    Stellt das Wechselspiel zwischen Pünktlichkeit und Zuspätkommen in den privaten Beziehungen eher ein Übungsfeld für den Umgang mit Konventionen dar, so bedeutet es in einem erweiterten Sinn eine enorme gesellschaftliche Verpflichtung. Der lockere Umgang mit dem individuellen Zeitmaß kaschiert die apodiktische soziale Verpflichtung zur Pünktlichkeit. Es genügt nicht, bloß auf dem Laufenden zu sein. In den Schaltzentralen |129| der Macht und des Handels kommt es nunmehr darauf an, seiner Zeit voraus zu sein. Man ist
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, betreibt Agenda-Setting und ist fokussiert auf das Kommende. Längst hat man sich dem Diktat untergeordnet, nichts verpassen zu dürfen. Wer hier bestehen will, den bringt die bloße Fähigkeit zur Pünktlichkeit nicht weiter. Er wird vielmehr lernen müssen, spielerisch mit dem seit früher Kindheit als Laster eingestuften Zeitmanagement umzugehen. An die Stelle der Einhaltung des Gebots, rechtzeitig da zu sein, tritt eine Kunst der Pünktlichkeit, die mehr als nur die zeitliche Dimension umfasst.

|130| Wer nicht genießt, ist ungenießbar
    »Too much of a good thing can be great.«
    Mae West
    In einer Szene des amerikanischen Spielfilms
Sideways
geht der Weinkenner und Genießer Miles aus lauter Liebeskummer von einem Moment zum anderen dazu über, sich sinnlos zu betrinken. Er tut es nicht stilvoll, Glas für Glas oder wenigstens in kleinen Schlucken. Vielmehr setzt er eine Flasche an, lässt deren Inhalt hastig durch seine Kehle rinnen und setzt nicht ab, ehe diese geleert ist. Trinken mag man den Vorgang kaum nennen. Es geht Miles offensichtlich darum, die Wirkung des Alkohols so schnell wie möglich zu spüren. Das Vorhaben gelingt. Irgendwann rennt er im Vollrausch einen kleinen Weinberg hinunter und bleibt, endlich unten angekommen, reglos liegen.
    Die Szene verfehlt im Film ihre groteske Wirkung nicht. Zwar hat der Regisseur Alexander Payne mit
Sideways
ausdrücklich einen Film über die Kunst des Genießens gemacht, in dem er den Zuschauer mitnimmt auf eine ausgedehnte Verkostungsreise. An seinem nicht ganz so edlen Schöngeist Miles führt er vor, dass dieser Weg eben auch über holprige Pfade führt.
Sideways
lotet die dunklen Seiten wohliger Geschmacksempfindungen aus. Genuss ist nicht einfach, und Genießer sind keine Engel. Um seine kleine Reise überhaupt antreten zu können, vergeht Miles sich am Ersparten seiner betagten Mutter. Genuss, soll das wohl bedeuten, setzt sich nicht nur aus Schmecken und Fühlen sowie dem Wissen über deren vielfältige Abstufungen zusammen. Für das Erreichen der Sinnesfreuden muss man allerhand tun und ist dabei nicht vor menschlichen Niederungen gefeit.
    |131| Dem steht auch im Film eine Vorstellung von vollendetem Genuss gegenüber, der sich selten einstellt und zu dem ein ganzes Arsenal ausgesuchter Zutaten und komplexer Handlungsabläufe gehört. Man braucht einen Sinn für Proportion und Harmonie, aber auch eine Ahnung davon, was es bedeutet, wenn es an all dem mangelt. Ehe sich genüssliches Behagen einstellen kann, muss vieles zusammenkommen. Und wenn es schließlich erreicht ist, kann man sich seiner Dauer nicht gewiss sein. Wahrer Genuss ist eine vergängliche Wahrnehmung, für die es auch der Ausdauer und der Fähigkeit zur Entsagung bedarf.
    Miles kennt sich aus. Er weiß alles über Wein, und er erhält genügend Gelegenheit, es mitzuteilen. Alexander Paynes Film ist ein

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