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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Nutt
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Roadmovie für Weintrinker. Unterwegs zum guten Geschmack kann allerhand passieren, und trotz bester Absichten schaffen es die Akteure nicht, immer auf den Pfaden der Tugend zu bleiben. Die Freunde Miles und Jack unternehmen eine gemeinsame Reise durch die Berge Kaliforniens, bevor Jack heiraten und in die Firma seines Schwiegervaters einsteigen soll. Der Lehrer und Weinliebhaber Miles hat eigens eine Route ausgearbeitet, auf der es ihm darum geht, von Weinberg zu Weinberg zu gelangen und die Kunst der örtlichen Winzer mit all ihren feinen Unterschieden kennen zu lernen. Für ihn ist es seine ganz persönliche Bildungsreise mit pädagogischem Ehrgeiz. In endlosen Gesprächen weist er seinen Freund in die Schule des Weintrinkens ein, insbesondere in die Wonnen des Pinot Noir. Zwar ist Jack, der nur darauf aus ist, vor seiner Hochzeit noch einmal richtig einen drauf zu machen, allenfalls mäßig interessiert. Aber er hört seinem Freund willig dabei zu, wie dieser mit unerschöpflicher sprachlicher Benennungsfreude den Geschmacksnoten in den verschiedenen Regionen des Gaumens nachspürt und sich an der Poesie des Abgangs und dem Farbenspiel des nie gleichen Rebsaftes ergötzt. Ihren zum Teil sehr liebenswerten Schwächen, das ist die schöne und mitunter auch bittere Pointe des Films, erliegen |132| sie beide. Von der reinen Lehre des Genießens weichen die beiden Hallodri schon zu Beginn ihrer so ungleichen Vorhaben ab. Über seine sexuellen Abenteuer scheint Jack sogar seine bevorstehende Hochzeit aus den Augen zu verlieren. So gesehen handelt
Sideways
von Willensschwäche und der mal heilsamen, mal verführerischen Rolle, die der Genuss dabei spielen kann. Auf dem Weg zum Hochgenuss besteht Absturzgefahr. Zuviel des Guten, weiß der Volksmund, ist meist unbekömmlich. Ein Glas feinsten Weins am Tag kann man genießen. Beim Konsum von vier Gläsern bewegt man sich im Grenzbereich des Alkoholismus. Und was, so fragt der verunsicherte Konsument, ist mit Nummer zwei und drei?
    Wer kokettiert nicht gern mit der Übertretung des gebotenen Maßes? Man könne eine Speise nur dann richtig kennen lernen, heißt es bereits bei Walter Benjamin, wenn man nicht immer Maß mit ihr hält. Leicht ließen sich weitere Aphorismen und Sprichwörter ergänzen. Manchmal können wir vom Guten trotz aller Vorsätze und berechtigten Warnungen nicht lassen. Was in solchen Momenten als Ordnungsruf ertönt, ist die Idee vom sparsam dosierten Genuss, der doch zugleich als langweilige Konformität verhallt. Kein Mensch tut gern tun, was er tun darf, hat Wolf Biermann in seinem berühmten frühen Lied gereimt: »denn was verboten ist, das macht gerade scharf«. In diesem Zusammenhang bedeutet es wohl, dass Regelverstöße vitalitätssteigernd sind.
    Das hektische Hinunterstürzen eines guten Weins ist dagegen ein Frevel. Niemand weiß das besser als Miles, der daheim die Flasche eines kostbaren Tropfens aufbewahrt und sehnsuchtsvoll dem Tag entgegensieht, an dem er diese feierlich öffnen wird. Kein Anlass war ihm bislang würdig genug, und eine Spur von Spannung erwächst während des Films aus der Frage, ob Miles den Tropfen am Ende gemeinsam mit der Reisebekanntschaft Maya trinken wird, die allerdings auch der Anlass seines schweren |133| Liebeskummers war. Ist es überhaupt möglich, das zarte Reizen der Geschmacksnerven mit einem geglückten Augenblick des Lebens zu synchronisieren? Und ist es nicht oft das allzu starke Wollen, vor dem sich die Augenblicke des Gelingens so rar machen?
    Das Streben nach Genuss ist in mancherlei Hinsicht mit dem Lebensgefühl verwandt, aus dem heraus wir diesen oder jenen gefassten Vorsatz noch einmal aufschieben oder verwerfen. Wir trauen unseren Sinnen das meiste zu, ohne uns ihrer je richtig sicher zu sein. Man kann sich ja täuschen, und selbst der beste Tropfen will manchmal nicht schmecken, weil sich die entsprechende Stimmung nicht einstellt. Dennoch steht der Genuss hoch im Kurs. Während Wankelmut, Grübeln, Zaudern oder mangelnde Standhaftigkeit eine eher schlechte Presse haben, gilt die gezielte Reizung der Geschmacksnerven als Lebenskunst. Der Eindruck einer Charakterschwäche lässt sich mit demonstrativer Genussbereitschaft und dem Nachweis von Genussbegabung sogar beheben. Wer den Umgang mit den Geschmäckern beherrscht, dem billigt man Lebensklugheit zu. Guten Appetit wünscht man einander, aber guter Geschmack ist insgeheim eine Norm, die nicht nur im gastronomischen Sektor nach Kräften

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