Mein schwacher Wille geschehe
verliert.
Man kann nicht alle leichten Genüsse zum Kult seiner eigenen Lebensführung erheben.
|136| Verborgene Genüsse
Dass manche Genüsse schwer zugänglich sind, ist nicht immer nur eine Frage des Geldes. Dabei schadet es einem Genießerleben nicht, welches zu haben. Insbesondere im Kunstbereich hält sich hartnäckig jene Spezies von Sammlern, die Wert auf stille Werkbetrachtung ausschließlich im Privaten legt. Aus ihrem Kreis rekrutieren sich geheimnisvolle Auftraggeber, die zu spektakulärem Kunstraub anstiften, ohne dass die Erhabenheit des darauf folgenden Kunstgenusses je mit anderen geteilt werden könnte. Restlos überzeugt von ihrem kriminellen Geschick, würden diese Kunstfreunde es einem kaum verzeihen, wenn man sie eines ästhetischen Egoismus bezichtigen würde. Man darf vermuten, dass sie zur Abrundung ihrer Sinnesfreuden ihr kaum legales Tun, wenn dies nicht gar zur Steigerung ihres Vergnügens beiträgt, permanent ausblenden müssen.
Die verborgenen Genüsse, von denen hier die Rede ist, kosten nicht viel, sind aber nicht leicht zugänglich. Man meidet sie oft sogar, weil man auf dem Weg zu ihnen ausschließlich Verdruss vermutet. Obwohl ich der sportlichen Bewegung nie abgeneigt war, habe ich mir erst sehr spät das ausdauernde Laufen beigebracht. Einem Verantwortungsgefühl dem eigenen Körper gegenüber folgend, geschah dies zunächst keineswegs heiter. Männer über 40, die, erschrocken über das eigene Aussehen und Alter, die Laufschuhe schnüren, wirken zunächst vor allem peinlich. Sie wissen das und verhängen sich zu Tarnungszwecken mit reichlich Textilien oder erscheinen in einem Outfit, als gelte es, den nächsten Iron Man zu gewinnen. Die sich umgehend einstellenden Schamgefühle sind in der entsprechenden Literatur hinreichend beschrieben (siehe auch das Kapitel: Öffentlich gewogen). Es wäre ferner vermessen, dem Nichtläufer dauernd von sensationellen Glücksgefühlen vorzuschwärmen, die sich beim monotonen Pflastertreten einstellen. Die Endorphine rasen nicht gleich |137| los, wenn die Gelsohle quietscht. Und doch ist ja etwas dran an der Verheißung, dass Laufen, Joggen, Power-Walking etc. gute Gefühle freisetzt. Ich jedenfalls genieße es im hier beschriebenen Sinn, morgens vor der Arbeit eine Runde durch die Kleingartenkolonie in der Nachbarschaft zu drehen.
Der Genuss ist nicht nach Belieben abrufbar. Es quält mich jedes Mal, mich aus dem Bett zu pellen. Beim ersten Auftreten halte ich es für unvorstellbar, dass über diesen leichten Schmerz in der Ferse, der sich auf dem Weg zum Bad unweigerlich einstellt, ohne weiteres hinweggegangen werden kann. Nach den ersten Schritten auf der Straße melden sich die Knie oder wahlweise Verhärtungen in den Waden. Muss man ein Masochist sein, um aus derlei Empfindungen Genuss zu ziehen? Der Genießer schweigt – und leidet. Was ich beim Laufen genieße, ist der
flow
, der Moment, wenn die körperliche Anstrengung in eine Art geistigen Schwebezustand übergeht. Das Bewusstsein macht sich die biochemischen Prozesse zueigen und ruft eine schwebende Hirnaktivität hervor. Man macht sich beim Laufen so seine Gedanken. Unkontrolliert, aber nicht zügellos. Das Laufen versorgt mich mit assoziativer Energie, die ich, so bilde ich mir jedenfalls ein, eine Zeit lang auch speichern kann. Nach dem Laufen läuft manches besser.
Zu den verborgenen Genüssen wird man auch Tätigkeiten zählen können, für die keine große körperliche Verausgabung erforderlich ist. Es gibt Menschen, die ihr Gefühl des
flows
über das Hemdenbügeln oder Rasenmähen beziehen. Eine besondere Kraft mag aus dem Meistern der schwierigen Stellen an Kragen und Ärmeln erwachsen. Es gibt Rasenmäherfreuden, die aus besonders langen Bahnen resultieren. Manch einer mäht in Linien, andere in Mustern. Eine ganz neue Form der Begeisterung kann sich einstellen, wenn es mit einem traktorartigen Gefährt verrichtet werden kann. Genüsse, insbesondere von Männern, sind vielfältig kombinierbar und nicht selten mit der Benutzung |138| technischen Geräts verbunden. Der Rat, der hieraus folgt, zielt auf Experimentierfreude und Geduld. Nicht jede Tätigkeit gibt ihre geheimen Genussquellen unmittelbar und sofort frei. Sind sie aber einmal aufgespürt, ist eine gewisse Haltbarkeit garantiert.
Sich selbst belohnen
Natürlich wissen wir mit René Zellweger, dass
Schokolade zum
Frühstück
alles andere als die Wirkung attraktionssteigernder Pillen hat. Aber des Abends
Weitere Kostenlose Bücher