Mein schwacher Wille geschehe
veredelt wird. Wenn im Folgenden vom Genießen die Rede ist, so wird es darauf ankommen, die Ambivalenz dieser Sinneswahrnehmung herauszuarbeiten und ihre Nähe zur Unlust zu bestimmen.
In dieser Ambivalenz schlummern destruktive Kräfte wie kulturelles Kapital. Miles scheidet mit seinem Trinkanfall keineswegs aus dem Club genießender Weintrinker aus. Er hat allenfalls ein grobes Foul begangen. Auf rabiate Weise hat er bewusst alle Regeln verletzt, die wahren Weingenuss erst abrunden. Er weiß, dass er nicht nur sich, sondern auch dem so sorgsam gereiften Getränk Gewalt angetan hat. Das ist ein schwerer Verstoß gegen die genießerische Etikette. Miles hat dem edlen Tropfen, gewissermaßen direkt vor den Augen des kalifornischen Erzeugers, |134| jede Chance zum Atmen genommen, auf dass dieser sein vielfältiges Aroma zu entfalten vermag. Wider besseres Wissen hat er alle Schritte eines bewussten Schmeckens missachtet, als geschehe es im Dienst einer schonungslosen Selbstbestrafung, die darin besteht, sich jegliches Wohlgefühl vorzuenthalten. Der Seelenkampf der Filmfigur ist ein Indiz dafür, dass die Kunst des Genießens eine äußerst komplexe Form der Sinneswahrnehmung ist, in deren filigranes Geflecht sich starker wie schwacher Wille gleichermaßen fallen lassen, aber auch verfangen können. Willensschwäche und Genuss stehen in keiner festen Beziehung zueinander, aber sie tauchen häufig, und sei es auch nur zur Tarnung, als Pärchen auf oder wechseln einander ab.
Das Gebot und die Fähigkeit zum Genuss können vor hastiger Gier bewahren. Im Verlauf anhaltenden Genusses kann jedoch jedes Bemühen um das richtige Maß verloren gehen. Noch eins hiervon, noch eins davon. Ohne weiteres ist man in Momenten des Überschwangs zur bedingungslosen Hingabe an süße und lockende Versprechungen bereit. Wie ein Löffel Vanilleeis beim Auftreffen auf der Zunge, schmilzt der Genießende dahin, von welcher Sinnesfreude auch immer er gerade berührt worden sein mag. Es ist also geboten, ein paar Unterscheidungen zu treffen.
Leichte Genüsse
Es gibt keine auf den ersten Blick erkennbare Hierarchie der Genüsse, noch sind die Möglichkeiten begrenzt, über die vertrauten hinaus – seien es feines oder üppiges Essen oder das Empfinden einer schmeichelnden Hand auf der Haut – neue zu entdecken. Genusstradition und Kombinierlust stehen unverbrüchlich nebeneinander. Man kann Gefallen an der italienischen Renaissancemalerei finden oder man wird gewahr, dass man sich prächtig vorm Fernseher entspannt, wenn dort gerade junge Nachwuchssänger gecastet werden. Was manche verabscheuen, kann zur |135| Quelle des Genusses von anderen werden. Das endlose Spiel der Distinktionen eröffnet ein weites Feld für leichte Genüsse. Vanille und George Clooney, Madelaine-Buiscuits und Nackenmassage, alles kann zum Genuss werden. Man bezieht sich auf andere oder genießt für sich allein. Ein Großteil des Wohlbefindens erwächst aus der Verfeinerung von Gewohnheiten oder tradierten Genussvorstellungen. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum Luxushotels so blumig damit werben, in ihrem Wellnessbereich zu später Stunde Schaumweinprodukte zu kredenzen. In allerhand Abwandlungen ist zum handelsüblichen Genussangebot avanciert, was man für einen Ausdruck der Dekadenz früherer Tage hält. Ein Großteil der Champagnerproduktion oder andere Veredelungsindustrien scheint sich genau diesem Umstand zu verdanken. Für andere verbietet es sich hingegen, auf derlei klischeehafte Genussangebote einzugehen. Für sie kann es bereits ein Hochgenuss darstellen, heißes Wasser in die Badewanne nachlaufen zu lassen und dabei Brian Wilsons »Petsounds« zu hören. Das alles zählt zu den leichten Genüssen, weil sie vielfältig kombinierbar und ohne großen Aufwand oder den Einsatz beträchtlicher Geldmittel zu haben sind. Man folgt den Moden oder bloß dem körperlichen Befinden.
Den leichten Genüssen gibt man sich in der Regel nicht bedingungslos hin. Schon möglich, dass man dem Werben des Eismanns an der Ecke im Sommer erliegt. Doch selbst wenn man es mit dem Hang zu einer gewissen Zwanghaftigkeit tut, ist es eher unwahrscheinlich, dass die drei Kugeln mit Sahne zu den Dingen gezählt werden, gegen die man sich schon ein halbes Leben über vergeblich zu wehren versucht hat. Leichte Genüsse sind das, was man sich arglos gestattet. Eine zeitlang giert man danach, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass man es auch wieder aus den Augen
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