Mein schwacher Wille geschehe
geschieht es fast regelmäßig, dass wir uns wie Zellweger im gleichnamigen Film für das geduldige Ertragen der Fährnisse des Lebens mit ein paar besonders hübsch verzierten Schokowaren belohnen und deren Glückshormone zu ihrer biochemischen Bestimmung verhelfen. Das, sagen wir uns dann leise oder demonstrativ laut vor, haben wir uns verdient. Wer hat sich nicht schon einmal in dieser oder jener Situation der Melodie von »Sweets for my sweet« ergeben und den in leuchtendem Rot aufblinkenden Schriftzug Reue willentlich übersehen – ganz gleichgültig, ob die Süße tatsächlich anwesend oder bloß ein Alter Ego ist.
Hinreichend wissenschaftlich abgesicherte Gründe für derlei Zuwiderhandlungen liegen zweifellos vor. Wir könnten auch anders. Aber wenn wir zur Schokolade greifen, lässt sich das ernährungswissenschaftlich plausibel machen. Es gibt allerhand Formelkram für die geheimen Gelüste. Eine belebende Wirkung schreibt man der Kombination aus Koffein und Theobromin zu, das wie Koffein zu den Alkaloiden gehört. Wer sich an die oben geschilderten Wonnen des Joggens nicht herantraut, kann die Erzeugung körpereigener Endorphine auch durch die Zufuhr von Schokolade erzielen. Das Verlangen nach Süßem ist also keineswegs bloße Einbildung. Die Freude am Genuss folgt, wie andere Erregungszustände auch, biochemischen Gesetzmäßigkeiten. Belohnungen, |139| Anreize, Lernen und Entscheidungsfindungen werden in bestimmten Hirnregionen (ventrales Striatum, orbitofrontaler Kortex, Amygdala) verarbeitet. Diese werden über das dopaminerge, mesolimbisch-mesokortikale System beeinflusst, das seinerseits an verschiedenen Erkrankungen wie Parkinson, Schizophrenie oder Sucht beteiligt ist. Beim Belohnungssystem, schreibt der Wissenschaftsjournalist und Autor Stephan Klein, »handelt es sich um ein Geflecht miteinander verknüpfter Zentren ziemlich genau in der Mitte des Gehirns. Dort setzen alle Drogen an – und manipulieren damit unsere Mechanismen für Genuss und Lust.« 26
Wir sind also nur sehr bedingt Herr im Haus unseres eigenen Bewusstseins. Der erste Akt einer beginnenden Abhängigkeit, so Klein, spielt sich in den Schaltkreisen für Genuss ab. »Er beruht darauf, dass Tag für Tag in unserem Kopf Opioide hergestellt werden, die den Wirkstoffen von Opium und Heroin gleichen. Diese Substanzen entstehen im Zwischenhirn und regen das Belohnungssystem an. Dann empfinden wir Wohlbehagen. So gibt das Gehirn ein Signal dafür, dass die Reize der Außenwelt für den Organismus erwünscht sind – sei es gutes Essen, die Gegenwart uns nahestehender Menschen oder auch Sex.«
Folgt das Bedürfnis nach Süßem einem primären Belohnungsreiz, so gehören die Freude an Musik oder schnellen Autos eher einem sekundären Belohnungssystem an, zu dem auch Geselligkeit und soziale Kooperation zählen. Das Gefühl, bei anderen gut anzukommen, bringt das Dopamin im Gehirn in Schwung. Das Bedürfnis nach Zuneigung oder Lob gehört folglich ebenfalls zu den festen Bestandteilen des Belohnungssystems. Wenn dies nicht ausreichend durch andere stimuliert wird, verstehen wir uns prächtig darauf, uns selbst aus der Unterversorgung zu befreien.
Von dieser Art der Selbstbelohnung sprechen wir meist auf ironische Weise: Man gönnt sich ja sonst nichts. Wir wissen um die |140| gesundheitlichen Folgen des regelmäßigen Selbstbetrugs, den Rest besorgt ein tief verankerter Respekt vor den Fallen des Narzissmus, der bei der Selbstbelohnung eine zentrale Rolle spielt. Beim Naschen ist man schnell mit sich selbst im Gespräch, und die Gefahren, sich mit fatalen Folgen ins eigene Spiegelbild zu verlieben, sind im Medienzeitalter nicht geringer geworden. In diesem Sinn mobilisiert der Berliner Philosoph Wilhelm Schmid gegen die zerstörerischen und belastenden Vorstellungen von der Selbstliebe einen Begriff von Selbstfreundschaft. Wie mit anderen, muss man auch mit sich selbst klar kommen. »Selbstfreundschaft heißt auch, mit den eigenen Launen sich zu befreunden (...) Ein Hin- und Herfluten des Selbst kann daraus hervorgehen, das sich mal von diesem Gedanken, mal von jenem Gefühl bestimmen lässt, wenn dies ein verabredetes Element der Gemeinsamkeit ist. Zugleich erscheint es klug, nicht allzu viel davon nach außen dringen zu lassen, um die Launen nicht in der Spiegelung durch andere, die mit ihrem raschen Wechsel nicht leben wollen, noch zu verstärken. Sich mit sich selbst zu befreunden erfordert, die widerstreitenden Teile in ein
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