Mein schwacher Wille geschehe
gedeihliches Verhältnis zueinander zu setzen, sie im Idealfall zur spannungsvollen Harmonie zusammenzuspannen. Immer geht es dabei, wie in der Freundschaft, um Wechselseitigkeit statt Einseitigkeit, wechselseitiges Wohlwollen statt Übelwollen und Offensichtlichkeit des Wohlwollens anstelle seiner Verborgenheit in einem inneren Schweigen.« 27
Wer es auf diese Weise schafft, so legt Schmid nahe, sich mit sich selbst zu befreunden, hat gute Chancen, den narzisstischen Tücken zu entkommen. Man kann sich den Techniken der Selbstbelohnung dann gelegentlich bedienen, ohne ihnen dauerhaft zu erliegen. Die gute Nachricht, die diese Freundschaft mit sich selbst verheißt, besteht in der Aussicht, mit den überall lauernden Reizen ohne die freudlosen Strategien der Askese fertig zu werden.
|141| Genuss als Gebot
Dass die sofortige Befriedigung von Bedürfnissen in den immer stärker frequentierten Benimmseminaren nicht an erster Stelle gelehrt wird, lässt vermuten, dass Triebaufschub als wesentliche Voraussetzung zur Einhaltung der Umgangsformen noch immer Anerkennung findet. Darüber hinaus vermehren die zahlreichen Gourmetmagazine die Illusion, dass sich der gute Geschmack und das richtige Schmecken mit einiger Disziplin und den passenden Zeitschriftenabonnements auch erlernen lassen. Mit gehobenem Geschmackskonsum ist nicht zuletzt die Hoffnung verbunden, dass die drohenden Durchbrüche bloßer Gier eingehegt werden können. Die jeweiligen Systeme des Genusses stehen in dem Ruf, ein Bollwerk zu bilden gegen die Anfälle von Zügellosigkeit, in denen das Animalische sein Recht verlangt. Wer genießen kann, der scheint gewappnet gegen den schleichenden Übergang von der Hingabe zur Selbstaufgabe. Auf natürliche Weise bekommt man dabei Unterstützung vom eigenen Körper. Es scheint eine Art anthropologischer Mechanismus wirksam zu sein, den Aurel Kolnai als Abwehrreaktion identifiziert. »Ein Ekelgefühl hält einen davor zurück, in einem Genusse zu ertrinken. Man kann nicht einfach sagen, dass dieser Genuss es zu sein aufhöre; er wird nur schal, wüst, gerät in einen irgendwie fühlbaren Gegensatz zum Lebenswillen der Persönlichkeit.« 28 Wenn es einem zu viel wird, rebellieren die Sinnesorgane als eine Art natürlicher Schutz gegen die Entstehung von Sucht.
Jenseits der körperlichen Energien wird dem Genuss jedoch die Prägekraft einer kulturellen Norm zugeschrieben. Die gelassene Entgegennahme wohliger Empfindungen gilt als Begabung, die nicht allein mit Tugenden wie Fleiß und Strebsamkeit zu erzielen sind. Unruhige Geister und Zappelphilippe aller Art sind unfähig, sich den Segnungen der Entspannung hinzugeben. Zwar ist Müßiggang noch immer aller Laster Anfang, aber ohne jede |142| Einschränkung steigert die Fähigkeit zum Genuss das gesellschaftliche Ansehen. Wahrer Genuss ist selten, und er fällt einem nicht zu. Er verlangt nach Formgefühl und Stilbewusstsein ebenso wie nach der Bereitschaft, sich einer rituellen Ordnung zu fügen. Spontanes Zugreifen aufgrund plötzlich sich anbahnender Gelegenheiten ist dem wahren Genießer fremd. Wer sich nach geschmacklicher Vielfalt verzehrt, kann es nicht ertragen, sich gierig im schnöden Verbrauchen zu verlieren. Die stoffliche Aufnahme ist denn auch nur der materielle Teil eines Vorganges, der sich erst mit Hilfe der Einbildungskraft vollendet. Man gibt sich den schönen Dingen nicht nur hin, sondern erfährt sie in einem System von Proportion, Etikette und Anmut. Bevor den empfindlichen Rezeptoren der Zunge etwas zugeführt werden kann, geht meist eine aufwändige Planung voraus. Schon das Einhalten eines komplexen Regelsatzes scheint dem hastigen Durcheinander eines Saufgelages entgegenzustehen. Als gesellschaftlicher Idealtypus ist der wahre Genießer gewappnet gegen alle Varianten des Zuviel.
Auf einem gehobenen Level der Freude am Genuss und ab einem bestimmten ökonomischen Einsatz, den man dafür zu leisten bereit ist, kommt es nicht nur auf den feinen Tropfen und den Moment an, in dem er die Kehle benetzt. Es bedarf darüber hinaus auch des passenden Gefäßes. Bordeauxglas oder Burgunderkelch wollen fingerabdruckfrei zum Mund geführt werden. Kein Anfassen im oberen Drittel des Glases, lautet ferner eine eiserne Vorschrift. Diese Art der Gesetzestreue weist den Genießer vollends als maßvolle Erscheinung aus. Er liebt es, eben dies zu sein und als eine solche erkannt zu werden. Die Beschreibung des Augenblicks, in dem genossen wird, ist meist
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