Mein schwacher Wille geschehe
nicht ohne jene Klischees zu haben, an denen sich die Werbung so schamlos wie raffiniert bedient. Genuss schmeckt mild und süßlich, selbst wenn mit Cayennepfeffer gewürzt worden ist. Vielfach ist von wahrem Genuss die Rede, und tatsächlich gibt es für den Moment |143| des Genießens keinen Ersatz, obwohl der Markt der Surrogate blüht. Die minutiöse Berücksichtigung aller Genussparameter muss nicht zum erwünschten Ergebnis führen. Zwar müssen Rituale bisweilen sehr genau eingehalten werden, aber wenn man Genuss schlussendlich erfährt, erlebt man ihn als Geschenk. Weil das Genießen Teil eines komplexen kulturellen Geschmackssystems ist, lässt es sich nicht in die Verkehrsform von Tauschbeziehungen übersetzen. Es gibt Genüsse, für die man nichts bezahlen muss, die aber trotzdem einen Preis haben können. Oft wird man erst sehr viel später zur Kasse gebeten.
Trotz der Unmöglichkeit, Genuss zu erzwingen, dominiert er inzwischen als permanentes Gebot. Durchschaubar und aufdringlich in den Versprechungen der Werbung, unterschwellig, aber deswegen nicht weniger apodiktisch, in den Aufrufen eines letztlich esoterischen Weltbilds. Wer nicht genießt, ist ungenießbar, heißt es zum Beispiel in einem Lied von Konstantin Wecker, in dem dieser mit reichlich Pathos die Verschwendung zur poetischen Norm erhebt. Als gefallener Engel hat der Sänger später den Überdruss an übermäßigem Kokaingebrauch am eigenen Leib zu spüren bekommen und in einem öffentlichen Bekenntnis der eindimensionalen und zerstörerischen Genusssucht abgeschworen. Als Apostel praller Lebenslust propagieren seinesgleichen ein vertracktes Genussgebot, das selten hält, was es verspricht. Und so gilt als eiserne Regel jeglichen Genusses, keine Verpflichtungserklärungen zu unterschreiben.
So schützen wir uns vielleicht auch im Sinne des französischen Soziologen Jean-Claude Kaufmann vor jener Identitätspolitik, in deren Namen Genüsse in hohem Maße angepriesen werden. Für Kaufmann ist es gerade der Schutz vor den auf den Einzelnen einprasselnden Genussangeboten, der als Wohlgefühl erfahren werden kann. So genannte Umhüllungen stellen für ihn eine moderne Variante des Rückzugs in die kleinen Welten dar, wo das Ich sich sammeln kann und »wo alle Erschöpfung, es |144| selbst sein zu müssen, für einen Augenblick in Vergessenheit zu geraten scheint. (...) Tausenderlei Instrumente können benutzt werden, um die Weisheit dieses momentanen Wohlgefühls zu schaffen, innig verbunden mit der Vorstellung von einer Totalität außerhalb der bewegten Welt und der Zeit. Ein Fest voller Musik, ein plötzliches ästhetisches Gefühl, ein duftendes warmes Bad, das Abtauchen in die Welt eines Romans. Das Ideal aber ist, dass die Instrumente als solches nicht mehr benötigt werden: Die reinste harmonische Weisheit ist die einer leeren Hülle.« 29
Das ist schön gesprochen, aber schwer zu erreichen. Das Wissen über die Mechanismen des Wohlgefühls bereitet noch keinen Weg, es auch tatsächlich zu erlangen. Vielleicht schützt es aber vor den verhängnisvollen Versuchen, es allzu angestrengt zu erzwingen. Freunde des Zen und andere Esoterikschulen raten hierbei gern zu Gelassenheit, die aber bereits wieder philosophische Schwerstarbeit impliziert. An die Seite der in diesem Buch aufgebotenen entlastenden Aspekte von Laster und Willensschwäche tritt im nächsten Kapitel die kleine, freche Schwester der Gelassenheit.
|145| Lässigkeit
»Wie etwas sei leicht, weiß der es erfunden und der es erreicht.«
Johann Wolfgang von Goethe
Es war ein leichtes Wippen im Spielbein erkennbar, ein rhythmisches Tippen der Fußspitze auf der Oberfläche des Balls. Das Spiel stockte, war aber keineswegs unterbrochen. Johnnys momentanes Verharren ließ eine Beweglichkeit in den Hüften erahnen, die jederzeit ein plötzliches Vorstoßen nach links, rechts oder durch die Mitte zu ermöglichen schien. Dabei hielt er seinen Körper ein wenig in Rückenlage, so dass man eine Vorwärtsbewegung, eine rasante Richtungsänderung, auf den ersten Blick für unwahrscheinlich hielt. Und doch stand seine schlaksige Figur unter einer Körperspannung, von der in jedem Moment etwas Ungewöhnliches auszugehen vermochte.
Johnny war ein eleganter, groß gewachsener Junge, der den Ball mit Leichtigkeit zu führen wusste. Während andere schnaufend und dampfend hinter dem dauernd verspringenden Sportgerät her waren, blieb der Ball bei ihm am Fuß, als gehorchte er einem
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