Mein schwacher Wille geschehe
unausgesprochenen Befehl. Johnny war der beste Spieler seiner Mannschaft, aber der Trainer und die Betreuer rügten ihn bisweilen wegen seiner übertriebenen Lässigkeit. Trotz seiner für die Mannschaft unverzichtbaren Leistungen erweckte er den Eindruck, als sei er nicht ganz bei der Sache. Weil ihm das meiste zufiel, musste er nur wenig für den Erfolg tun. Gegen die Unterstellung, dass er sich dementsprechend verhielt, hatte er sich nie sonderlich gewehrt. Er galt als trainingsfaul und wollte, wenn überhaupt, nur Übungen am Ball mitmachen. Auf dem Platz schien er, dabei durchaus eine Sonderrolle beanspruchend, immer |146| ein wenig unkonzentriert, irgendwie abwesend. Dennoch war man nie vor Überraschungen gefeit. Ehe man es recht begriffen hatte, spielte er plötzlich einen unerwarteten Pass durch die Gasse, der andere in eine gute Torschussposition versetzte. Während des Spiels machte er viele Pausen, lief weniger als die anderen, war aber plötzlich zur Stelle, wenn sich etwas Entscheidendes anbahnte. Er war nicht nur Spielmacher, sondern auch ein erfolgreicher Torschütze. Die gegnerischen Mannschaften waren sich der Gefahren, die von ihm ausgingen, durchaus bewusst. In der Fußballwelt seiner Region war er ein Star.
Johnny war außerordentlich gutaussehend. Groß, dunkle Locken, schon im Frühsommer mit leicht gebräunter Haut, ein Mädchentyp. Sein Spitzname erinnerte an die jugendliche Unbeschwertheit der Fünfzigerjahre, an deren Ende er geboren wurde. Tatsächlich hieß er wohl Josef oder Johannes. Johnny klang nach dem Lebensgefühl amerikanischer Filme, nach ein bisschen Italo-Leichtigkeit wohl auch. Eine zu seinem Namen passende Lässigkeit legte er auch jenseits des Fußballplatzes an den Tag. Unrhythmisch gehend, fast schlurfend, betonte er seine Schlaksigkeit noch. Er sprach langsam, beinahe stockend, so als würde ihm seine Zunge nicht ganz gehorchen. Er lispelte, aber wohl mehr als Folge einer eingeübten Trägheit. Es war, als würde er eine Pose des Rückzugs in sich selbst aufführen. Wer ihn das erste Mal sprechen hörte, konnte denken, er leide an einem Sprachfehler. Dabei war er überdurchschnittlich intelligent, wenngleich die Lehrer in der Schule ihm Ähnliches attestierten wie der Trainer. Zu faul, zu nachlässig, zu unkonzentriert. Er könne mehr erreichen, wenn er nur wolle. Trotz seiner diversen Spleens war er auf dem Platz nicht nur auffällig, sondern auch dominierend. Er dirigierte das Spiel und gab, wenn nötig, zackige Anweisungen an seine Mitspieler. Nach dem Spiel war er dann wieder wortkarg und zog sich auf infantile Ausdrucksformen zurück. Die Blöße, die er sich so gab, schien eine besondere Schutzfunktion |147| zu haben. Dabei war er sehr beliebt, und er wusste und mochte das.
Zwanglosigkeit, Natürlichkeit, Entspanntheit und Ruhe sind Synonyme für Lässigkeit, geben die Ambivalenz des Begriffs aber nur ungenau wieder. Wer etwas lässig verrichtet, trägt einen gewissen Unernst zur Schau, obwohl er im Begriff ist, etwas Bemerkenswertes anzustreben. Lässige Herangehensweise impliziert ein Gelingen. In der Regel ist von Lässigkeit erst nach einer geglückten Handlung die Rede. Wie es vonstatten ging, erfüllt die anderen mit Unbehagen, aber es ist ja gut gegangen. Wäre es misslungen, hätte man wohl Vokabeln wie Versagen, Scheitern oder Ungeschick verwendet. Man hätte seine Fahrlässigkeit angesprochen. Die allgemeine Bewunderung für Lässigkeit hält sich aber in Grenzen. Wo Lässigkeit als solche benannt wird, werden Zweifel an sie geknüpft. Sie birgt die Gefahr des Misslingens, die demonstrative Lockerheit des Akteurs scheint ein Wagnis geradezu herausfordern zu wollen. Das konnte ja nicht gutgehen. Ist jedoch offen von Lässigkeit die Rede, schwingt meistens auch ein Ton von Bewunderung mit und man darf von einer gelungenen Aktion ausgehen. Gewiss, ein wenig Glück war mit im Spiel. Was anderen schwer fällt, ist dem Lässigen mit beeindruckender Leichtigkeit von der Hand gegangen. Zwar fehlt dem Lässigen zum Vorbild die Tugendhaftigkeit. Seines umsichtigen, vorausschauenden Einsatzes für die Gemeinschaft kann man nie ganz gewiss sein. Er scheint von einer Art radikalem Egoismus beseelt. Aber man schätzt seinen Mut und achtet seine Kunstfertigkeit.
Etymologisch stammt das Adjektiv lässig, das mit den Wortbedeutungen des Lassens verwandt ist, vom mittelhochdeutschen »lezzic« ab und ist eine Bildung zum heute veralteten »laß«, das matt, müde und
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