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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Nutt
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Muhammed Ali auf dem Höhepunkt dessen Karriere sagte: »Er schien von der Voraussetzung auszugehen, dass es obszön sei, getroffen zu werden.« 31 Alis Lässigkeit war durchdrungen von diesem Bewusstsein der Unerreichbarkeit.
    Realistisches Einschätzungsvermögen ist die Sache des Lässigen nicht. Er fühlt sich unangreifbar, aber er muss lernen, das Kopfschütteln der anderen über seine Posen in seine Inszenierung zu integrieren. Allein der Erfolg schützt ihn davor, der permanent lauernden Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. Lässigkeit, die allzu leicht als schmückendes Beiwerk enttarnt wird, kann rasch die gewünschte Anerkennung verfehlen. Lässigkeit wird überhaupt nur als solche wahrgenommen, weil sie eine Verbindung zum Genialischen zu unterhalten scheint. Man traut dem Lässigen viel zu und neidet ihm seine scheinbare Schwerelosigkeit. Während andere sich abrackern, fällt ihm der Erfolg mühelos zu. Lässigkeit veredelt bloßes Gelingen mit einer Geste der Erhabenheit. Man kann sich bemühen, lässig zu erscheinen. Man kann Lässigkeit, ein sportlich, elegantes Auftreten auch trainieren, aber man kann sie letztlich nicht einfach erwerben. Im positiven wie im negativen Sinn ist Lässigkeit eine Zuschreibung von anderen.
    Will man sich Lässigkeit gezielt aneignen, ohne über Begabung und die daraus hervorgehende Aura zu verfügen, bleiben die äußeren |153| Zeichen. In der Mode ist Lässigkeit eines der am häufigsten gehandelten Attribute. Zwar attestiert man sich mit entsprechender Kleidung noch immer Haltung, Formbewusstsein, Stil und gesellschaftliche Zugehörigkeit. Zu bestimmten Anlässen ist weiterhin ein vorgeschriebener Dresscode unumgänglich. Den klassischen Zeichen der Mode wird jedoch mit jeder neuen, abweichenden Kreation widersprochen. Mode muss nicht in Bewegung bleiben, sie ist Bewegung. Lässigkeit ist dabei eine zentrale Form.
    Zu einem markanten Zeichen der Lässigkeit wurde nach dem Krieg die Vespa, der Motorroller des italienischen Herstellers Piaggio. Das erste Modell war bereits 1946 auf den Markt gekommen und hieß Paperino. Die Vespa war ursprünglich aus dem Flugzeugbau hervorgegangen. Corradino D’Ascanio, der eigentlich Hubschrauber bauen wollte, erfand das Konzept kurz nach Kriegsende im Auftrag von Enrico Piaggio, der als ehemaliger Konstrukteur von Kriegsflugzeugen nun ein ziviles Produktionsfeld erschließen musste. Das Gefährt sollte einfach, sparsam und leicht zu fahren sein und darüber hinaus in den alten Produktionsanlagen von Piaggio gefertigt werden können. Weil Corradino nie zuvor Motorräder konstruiert hatte, ging er völlig unvoreingenommen an die Sache heran. So gesehen war bereits die Entwicklung ein lässiger Prozess. Das Design antwortete auf eine allgemeine Stimmungslage. Corradino wählte einen ungewöhnlichen Direktantrieb und brachte den Motor verdeckt an, so dass er nicht zu sehen war und man sich an ihm nicht schmutzig machen konnte.
    Diese völlig neue Formgebung, die die Zweckhaftigkeit üblicher Motorräder beinahe zum Verschwinden brachte, diente sich dem Bedürfnis nach demonstrativer Lässigkeit geradezu an. Der mechanische Antrieb zum Zweck der Fortbewegung kam scheinbar aus dem Nichts. Vespa fahren kam einer Art göttlichem Gleiten gleich. Man war dem Krieg noch einmal entkommen und genoss das ungeschützte Fahren unter freiem Himmel. Mit der |154| Vespa überwand man keine großen Distanzen, der kurze Weg war das Ziel. Die Vespa war alles andere als ein Ausdruck von Stärke, ihre bescheidene Motorkraft beinahe eine Abrüstungsinitiative. Mit der Vespa rückte ein unausgesprochenes Nichtwollen in den Blick. Im Cruisen verweigerte man sich dem schnellstmöglichen Zurücklegen des Wegs von A nach B. Auf dem Roller entzog sich Audrey Hepburn mit Gregory Peck in dem Film
Roman Holiday
den Zwängen ihrer Rolle als Kronprinzessin eines exotischen Lands. Im Fahrtwind fühlte eine ganze Generation ihre wieder gewonnene Unbeschwertheit.
    Lässigkeit ist eine Geste und Variante der Coolness, die besonders in Jugendkulturen seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen erstrebenswerten Zustand darstellt. Man ist bemüht, kühl zu bleiben, gelassen, nonchalant, souverän, kontrolliert. So verstanden ist Coolness die antizipierte Unabhängigkeit derer, die gesellschaftlich auf der Schwelle stehen. Man gehört noch nicht dazu, sei es durch Ausschluss oder durch Selbstausgrenzung. Wie auch immer, die anderen sollen schon einmal wissen, dass sie einem

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