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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe
Autoren: Harry Nutt
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Alternativen.

|159| Exkurs: Wenn das Laster zur Sucht wird
    »Der Gegensatz zu Spiel ist nicht Ernst, sondern Wirklichkeit«
    Sigmund Freud
    »Die Finger gleiten leichthändig über die Tastatur, die 16-stellige Nummer deiner Kreditkarte kennst du längst auswendig. Ein Bildschirm-Popup auf der Homepage des Wettanbieters bestätigt den Zahlungseingang, und blitzschnell ist die Wette abgeschickt. 300 Euro auf die Mavericks. Ein Zehn-Punkte-Vorsprung und du bist einen Teil Deiner Sorgen erst einmal los. Die Mavericks fangen gut an. Es ist weit nach Mitternacht, du bist live dabei, alles nach Plan. Und selbst wenn es schief geht, kannst du mit einer Scorer-Wette nach der Halbzeit vielleicht noch einmal etwas absichern. 100 Euro darauf, dass Dirk Nowitzki über zwanzig Punkte macht. Die schafft er selbst, wenn das Spiel eng wird.
    Langsam wird es auch für dich brenzlig. Es ist der 25., ein wenig kannst du die Karte noch belasten. Es ist immer grauenhaft, dieses Gefühl, wenn die elektronische Falle plötzlich zuschnappt. Keine Auszahlung mehr möglich, sagt der Automat und versetzt dir damit einen Stich ins Herz. Wie früher vor der Disco, in die man nicht hineingelassen wurde, obwohl man sich so viel Gedanken über das passende Outfit gemacht hatte. Aber etwas Bares ist noch da, und Peter schuldet dir noch einen Fuffie, dem musst du dann halt etwas Druck machen. Aber wozu über Außenstände grübeln? Die Mavericks schaffen es bestimmt.
    Mann, was mache ich hier eigentlich? Rede mit mir selbst und starre in die Glotze. Gut, dass Siggi das jetzt nicht sieht. Sie liegt mir immer in den Ohren, ich müsse dringend etwas unternehmen. Dauernd kurz vor der Pleite, und alles drehe sich nur um |160| Punkte, Quoten usw. Ich hätte mich vollkommen verändert, sagt sie. Und irgendwann, meint sie, verliere ich wegen der Zockerei noch den Job.«

    Es fällt nicht schwer, aus den Aussagen des Werner B. klassische Merkmale des Suchtverhaltens herauszulesen. Was er sagt, fügt sich nahtlos in die Liste der Anzeichen für pathologisches Spielen ein. Er reflektiert über Hinweise auf eine Persönlichkeitsveränderung, und das permanente Navigieren am finanziellen Abgrund dominiert seinen Alltag. Die Sorge seiner Freundin hört er, aber sie erreicht ihn nicht mehr. Das Leben des Werner B. ist durch sein Spielen determiniert.
    »Wenn die Mavericks punkten, lasse ich die Puppen tanzen. Wie damals, als ich in einer Nacht im Casino zwölf Riesen gemacht habe. Ganz einfach war das. Es ist jedes Mal erhebend, wenn sich das Gefühl einstellt, einfach nicht verlieren zu können. Was du in solchen Momenten auch tust: Es läuft für dich. Jetzt marschieren die Mavericks. Es sieht so aus, als bekäme ich für diesen Monat den Kopf noch einmal aus der Schlinge. Schade, dass ich die Scorer-Wette doch nicht mehr abgeschickt habe. Jetzt hat der Nowitzki schon kurz nach der Halbzeit 18 Punkte, ein Dreier, und ich hätte Siggi anrufen können, ob sie Lust auf einen Kurzurlaub in Venedig hat.«
    Die Vorstellung, dass mit einem Schlag, einer gelungenen Wette, alle finanziellen Sorgen behoben werden können, hält den Spieler bei der Stange. Dieses eine Mal noch. Was ist schon der Verlust eines überschaubaren Betrags gegen die Möglichkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen? Wenn es gut geht, lässt auch die Sorge über das nicht mehr zu leugnende krankhafte Spielen nach. Wenn das Geld wieder da ist, schwindet das Problembewusstsein. Die Erfahrung der eigenen Ohnmacht im Moment des Verlusts wird durch Omnipotenzgefühle während einer Gewinnphase abgelöst. Es entspricht einem weiteren Indiz |161| für pathologisches Spielverhalten, dass das gefühlte Verhältnis von Einsatz, Gewinnen und Verlusten nicht den gewöhnlichen haushalterischen Operationen entspricht, oder dem, was man außer der Reihe zum Zeitvertreib mal macht. Es gibt Phasen, in denen Verluste im buchstäblichen Sinn in der Wahrnehmung des Spielers nicht mehr zählen. Kommt er später zur Besinnung, ist er stets erschrocken, dass er wieder einmal mehr verloren hat, als er es im Augenblick der Aktion überschlagen hatte. Kontrollverluste sind eine fast obligatorische Begleiterscheinung seines obsessiven Tuns.
    »Vor drei Monaten sah es düster aus, da hat die Bank das Konto zugemacht. Nichts ging mehr, der Dispo völlig am Anschlag. Davon habe ich mich bis heute nicht erholt. Die Mavericks könnten mich jetzt wieder in die Spur setzen. Es ist schon weit nach Mitternacht, aber du
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