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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Nutt
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bewegen wusste, wurde im Zusammenspiel mit dem sportlichen Erfolg alles zu einer Frage der Präsentation. Äußerliche Wandlungsfähigkeit, die das Charakteristikum eines Models ist, widerspricht im Grunde den Prinzipien des Sports, denen es auf die Ausbildung verlässlicher Eigenschaften ankommt. Beckhams Lässigkeit, die schließlich in der seltsamen Typusbezeichnung des Metrosexuellen aufging, vermochte denn auch nie zu verbergen, dass sie aus britischem Fleiß hervorgegangen war. David Beckham blieb sich trotz seiner Eskapaden als
rolemodel
stets der Tatsache bewusst, dass der englische Fußball aufgrund seiner eher proletarischen Grundierung ästhetische Girlanden im Spiel wenig zu schätzen weiß. Der Beckham auf dem Platz und der Beckham in den Medien blieben immer zwei sehr unterschiedliche Typen. In der Werbebranche werden Fußballspieler bevorzugt in der Haltung derer gezeigt, die nur spielen wollen. Die Haltung der Lässigkeit signalisiert stärker als alles andere Unbekümmertheit und Draufgängertum, hält aber auch Wege zu Kreativität und Innovation offen. Lässigkeit ist die Haltung derer, die nichts zu verlieren und das meiste noch vor sich haben.
    Nahezu perfekt verkörpert wurde sie vom jungen Cassius Clay, der boxerisches Talent mit jugendlicher Schönheit und einer herausfordernden Intelligenz vereinte. Seine Schnelligkeit und sein Bewegungsdrang im Ring, sein Tänzeln und seine herunterhängenden Arme, die ihn als einen Boxer ohne Deckung erscheinen ließen, machten ihn zu einer Ikone nicht nur schwarzer Rebellion, sondern des jugendlichen Aufbegehrens einer ganzen Generation. Während James Dean in Filmen wie
Jenseits von Eden
und
Denn sie wissen nicht, was sie tun
eher einen Getriebenen ohne innere Gewissheit darstellte, einen, der an ödipalen Konflikten |151| verzweifelte, wurde Cassius Clay spätestens als Muhammed Ali zum Gestalter seines sportlichen Weges, seines gesellschaftlichen Außenseitertums und seiner entfesselten Energien. So sehr seine Begabungen in alle Richtungen zu streuen schienen und er im Nebenbei seiner kuriosen Stegreifgedichte eine frühe Version des Rap vorwegnahm, war er im Ring doch voll konzentriert. In den Verstellungsübungen seiner Lässigkeit vermochte er seine Kräfte zu bündeln. Das Ziel, den Gegner entscheidend zu treffen, verlor er trotz seines Schabernacks nie aus den Augen. Vielmehr dienten seine Kapriolen genau diesem Ziel.
    In ihrem berühmten Essay
Über Boxen
spricht die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates wiederholt über den Boxstil Muhammed Alis. 30 Dessen besondere Beziehung zum Publikum ist ihr dabei nicht entgangen. In der mitunter an Autismus erinnernden Abwesenheit schlummert ein bemerkenswertes Wahrnehmungsvermögen. »... es gab zumindest einen Boxer, der eine außerordentliche und beunruhigende Wahrnehmungsfähigkeit besaß, mit der er nicht allein jeden gegnerischen Zug voraussah, sondern die leisesten Stimmungsumschwünge des Publikums spürte, für die er sich persönlich verantwortlich fühlte – die Rede ist natürlich von Cassius Clay alias Muhammed Ali.« Für Joyce Carol Oates ist Boxen das tragische Theater Amerikas und Muhammed Ali war dessen komplettester Akteur. Wo es buchstäblich darum geht, die eigene Haut zu retten, ist im Grunde kein Platz für selbstverliebte Tändeleien. Joyce Carol Oates ahnt jedoch, was hinter Alis demonstrativem Unernst steckt. »Die süße Kunst zu verletzen ist ein Hohelied auf den männlichen Körper, auch wenn es die manchmal tragischen, manchmal nur schmerzlichen Grenzen des Körperlichen dramatisch aufzeigt. Obwohl männliche Zuschauer sich mit Boxen identifizieren, verhält sich kein Boxer, sobald er im Ring ist, je wie ein normaler Mann, und keine Kombination von Schlägen ist natürlich. Alles ist Stil.« Niemand anderes als Muhammed Ali hat stärker auf |152| diese Paradoxie aufmerksam gemacht. Obwohl Boxen unmittelbare und direkte Körperlichkeit ist, kann Joyce Carol Oates in ihrem Essay vor allem die ästhetische Dimension beleuchten. Für sie ist Boxen eine Art Schöpfungsakt. »Die Welt ist im Zorn – aus Hass und Hunger – entstanden und nicht durch Liebe«, schreibt Oates. »Davon handelt Boxen unter anderem. Es ist so simpel, dass man es leicht übersieht.« Muhammed Ali hat dieses Spiel perfektioniert. Mit seiner Art zu kämpfen hat er eine Vielzahl von Fährten ausgelegt. Seine einzigartige Leichtigkeit faszinierte auch den Schriftsteller Norman Mailer, der über

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