Mein Seelenauftrag
Prüfungsvorbereitung mehr anfangen konnte.
Im Unterricht saß regelmäßig ein Mann in einem motorisierten Rollstuhl neben mir. Er hieß Larry, war bei der Vorbereitung zu den Olympischen Spielen auf dem Trampolin verunglückt und hatte nun eine Form von Querschnittslähmung, von der alle vier Gliedmaßen betroffen waren. Es bereitete ihm große Mühe, etwas in der Hand zu halten. Trotzdem saß er da, den Stift in der geschlossenen Faust, und machte gewissenhaft Notizen. Er konnte zwar den Hebel bedienen, um die Geschwindigkeit und die Richtung seines Rollstuhls zu steuern. Aber er konnte niemals so schnell schreiben, wie nötig war, um alle Informationen aufzuzeichnen. Da er ein pfiffiger Kerl war, merkte er schnell, dass er neben einem Meister in der Kunst des Mitschreibens saß, und fragte, ob er Kopien von meinen Notizen haben könne. Ich sagte Ja und gab ihm nach jeder Stunde eine Kopie meiner ausführlichen Unterrichtsmitschrift.
Nach und nach lernten wir uns besser kennen, und irgendwann sagte ich: »Es sieht fast so aus, als würden wir Freunde.«
Auf seine Reaktion war ich nicht gefasst. »Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«, fragte ich. Ich war offen gesagt schockiert.
»Weil du mich für ein Opfer dieses Stuhls hältst«, sagte er, »und ich dir leidtue. Solange du mich so siehst, wäre das keine eine echte Freundschaft zwischen uns. Dein Mitleid käme uns immer in die Quere. Wenn du diese Einstellung überwinden könntest, könnten wir vermutlich Freunde werden.«
Er hatte recht, und ich war gekränkt. Ich hatte tatsächlich Mitleid mit ihm und beurteilte seinen Zustand als »schrecklich«. Aber als ich mir meine Urteile eingestehen konnte, konnte ich sie auch loslassen. Es freut mich, sagen zu können, dass es mir gelang, sie zu überwinden, dass wir Freunde wurden und bis zum heutigen Tage miteinander korrespondieren.
Eine Vision einer besseren inneren Haltung
Wie sieht es aus, wenn man sich von dem urteilenden Ansatz löst, nach dem die meisten Menschen üblicherweise im Leben verfahren? Ein gutes Beispiel ist Mutter Teresa, die in den Slums von Kalkutta den Ärmsten der Armen half. Vor kurzem sahen wir in einem Dokumentarfilm, wie sie einen kleinen Jungen aus der Gosse hob und ihn zu einem Fahrzeug trug, das ihn in eines ihrer Zentren bringen sollte, wo man ihn versorgen würde. Das Kind war extrem abgemagert, mit Dreck und Schorf verkrustet und kaum noch am Leben. Als sie ihn im Arm hielt, sah sie ihm in die Augen und sprach: »Was für ein wunderschönes Kind Gottes.« Als wir das sahen, stiegen uns die Tränen in die Augen.
Dieser Unterschied zwischen einer auf Akzeptanz basierenden Bewertung und einem auf Vorurteilen beruhenden Urteil ist enorm wichtig. Denn die größte Herausforderung, der sich die Menschheit derzeit gegenübersieht, ist das urteilende Denken – dass wir uns etwas zusammenreimen und alles entweder als richtig oder als falsch erachten. Sie müssen nicht weit gehen, um festzustellen, dass der Mensch bei der Unterscheidung von Richtig oder Falsch nicht einmal vor Gewalt, Gräueltaten und Krieg zurückschreckt. Stellen Sie sich vor, wie tief manche negative Überzeugungen sitzen müssen, wenn jemand bereit ist, sich und andere zu töten, weil sie etwas anderes glauben. Die wichtigste historische Kategorie vermeintlicher Unterschiede enthält zweifellos die Ansichten über Gott: »Unser Glaube ist der wahre Glaube, und wenn du ihn nicht teilst, bist du ein Ketzer, ein Ungläubiger oder Gotteslästerer, und wir werden dich im Namen Gottes töten.« Was für eine Ironie, wo doch der Kern aller großen spirituellen Traditionen die Liebe ist und es in der Bibel sogar heißt: »Ein neu Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebet …« 43 Die Menschheit hat es hier mit einer höchst merkwürdigen Verzerrung zu tun.
Zum Glück können Sie problemlos erkennen, dass Sie sehr wohl mit dem auf Akzeptanz basierenden Bewertungsmodus arbeiten können. Wir glauben, Ihnen dies sogar beweisen zu können. Wenn Sie selbst Kinder haben oder beobachten konnten, wie ein kleines Kind das Laufen lernt, werden Sie wissen, dass dieser Prozess vor allem zu Beginn nicht viel mit der besagten Form der Fortbewegung zu tun hat. Stattdessen sehen Sie, wie das Kind viele zaghafte Versuche unternimmt und immer wieder hinfällt. In einer solchen Situation ist es ganz natürlich, dass man seine Bemühungen einfach akzeptiert.
Es wäre eher unwahrscheinlich, dass Sie Ihrem Ehepartner
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