Mein skandaloeser Viscount
‚ Grayson, oh wie sehr ich dich hasse‘ .“
Er räusperte sich und intonierte in dissonanter Falsettstimme: „‚Grayson, triffst du eigentlich Remington bei deinen Besuchen in Venedig? Natürlich triffst du ihn, nicht wahr? Ich weiß es genau. Sonst würdest du nicht so oft nach Venedig reisen, wie? Und wieso weigerst du dich, mir zu sagen, was aus ihm geworden ist? Ich warne dich, wenn du weiterhin so hartnäckig schweigst, hacke ich dir mit dem Fleischerbeil deine Extremitäten ab. Und als Erstes den Körperteil, der dir am wichtigsten ist.‘“
Jonathan schüttelte den Kopf. „Du übertreibst. Solche Drohungen würde sie niemals ausstoßen.“
„Diese Frau hat sich in eine Furie verwandelt, seit du sie zum letzten Mal gesehen hast. Der bedauernswerte Tropf tut mir jetzt schon leid, der es ein Leben lang mit ihr aushalten muss.“ Grayson lachte hämisch. „Und dieser Unglücksrabe bist du. Also, bewirbst du dich nun um sie oder nicht? Mr Parker erwartet bis morgen Nachmittag meine Antwort.“
Fragend starrte Jonathan ihn an. „Mr Parker?“
„Der Advokat und Vermögensverwalter meines Onkels.“
Jonathan biss die Zähne aufeinander. Was für ein Chaos! Der Earl lag im Sterben und Victoria war gezwungen, bei dieser Farce einer Eheschließung mitzuspielen, die sie bis ans Ende ihres Lebens auf Gedeih und Verderb einem Mann auslieferte. Und wie, um Himmels willen, sollte er vor ihr bestehen? Es wäre schwierig genug, sie zum Altar zu führen und ihr der Ehemann zu sein, den sie verdient hatte. Aber sich mit zwei anderen vor sie hinzustellen und ihr die Wahl zu überlassen, wer der Beste sei? Denn der Beste war er auf keinen Fall.
„Ach, ich habe etwas für dich.“ Grayson griff in die Innentasche seines Mantels, holte ein goldgerahmtes Miniaturporträt hervor und hielt es dem Freund hin. „Es wurde vor einem Jahr gemalt.“
Jonathan streckte beide Hände danach aus, legte es behutsam in seine Handfläche und betrachtete das Bildnis andächtig. Victorias verträumter grüner Blick schien sich in seine Augen zu senken. Blonde Ringellocken rahmten ihr ebenmäßiges ovales Antlitz. Ihre vollen rosigen Lippen wurden von einem heiteren Lächeln umspielt, an das er sich so lebhaft entsann.
Die kindliche Unschuld in ihren Augen und ihrem Gesicht zerrte an seinem Herzen. Mein Gott, wie sehr wünschte er sich jene Nacht zurück. Jene Nacht, in der sie ihn geküsst und umarmt hatte. Jene Nacht, die ihn glauben ließ, dem Ring seiner Mutter wohne tatsächlich ein Zauber inne.
Unendlich sanft strich er über die geliebten Züge und meinte beinahe, Victorias zarte Haut zu spüren. Grayson tippte mit einem Finger an den Goldrahmen. „Sie braucht dich, Remington. Mit dem unweigerlichen Tod ihres Vaters vor Augen, mehr denn je. Ihr bleibt nur noch der Ehemann, den sie sich erwählt. Willst du dir tatsächlich das Beste, das dir je geboten wird, entgehen lassen wegen deines idiotischen Stolzes und deiner Angst, von ihr abgewiesen zu werden?“
Jonathan schnürte es die Kehle zu. Er hatte Victoria nie vergessen. Aber den Mann, den sie einst gekannt und geliebt hatte, gab es nicht mehr, durch sein eignes Verschulden. Zum Teufel, er wusste selbst nicht mehr, wer er eigentlich war. Sein Stilgefühl, seine Neigungen, seine Wünsche waren allesamt begraben und durch das Stilgefühl, die Neigungen und Wünsche von Bernadetta di Sangro, Marchesa Casacalenda und ihres diabolischen Gemahls ersetzt worden. Diesem Paar hatte er fünf Jahre als Cavaliere Servente gedient. Sein Vertrag war zwar abgelaufen, aber sein Ekel gegen das Leben, zu dem er verdammt gewesen war, bestand weiterhin. Jonathan strich immer noch zärtlich über das Bildnis seiner Angebeteten. Er hatte fünf Jahre seines Lebens verloren, fünf bittere Jahre, in denen er sich vor Sehnsucht nach Victoria verzehrt hatte.
Grayson tätschelte ihm den Arm. „Behalt es.“
„Vielen Dank, ich werde es in Ehren halten.“ Jonathan steckte die Miniatur in die Tasche seines Gehrocks. „Gib mir Gelegenheit, vor den anderen Bewerbern mit ihr zu sprechen. Ich brauche Zeit, um unsere Beziehung aufzufrischen.“
Grayson wippte auf den Fersen hin und her. „Oh nein, nein. Ich fürchte, ich darf keinen bevorzugen. Nicht in dieser Angelegenheit. Es existieren strikte Anordnungen über das Verfahren, sonst ist alles null und nichtig, einschließlich Victorias Erbschaft. Willst du tatsächlich ein so großes Vermögen aufs Spiel setzen?“
„Nein, natürlich
Weitere Kostenlose Bücher