Mein skandaloeser Viscount
quietschte in den Angeln und fiel ins Schloss.
Jonathan blickte auf das Buch in seinen Händen und las den verblichenen goldgeprägten Titel: Wie vermeidet man einen Skandal. Erstaunt zog er die Brauen hoch. Victoria hatte dieses Buch einmal erwähnt, das sie während der Zeit ihres Briefwechsels gelesen hatte.
Nachdenklich starrte er auf den roten Ledereinband, schlug ihn schließlich auf und las auf der ersten Seite mit schwarzer Tinte in verschnörkelter schwungvoller Handschrift folgende Worte:
Lord Remington,
mit Freuden hörte ich von Ihrem beispiellosen Erfolg in der venezianischen Gesellschaft. Ihr Entschluss, Ihre Lebensumstände zu verbessern, wird dem Wunsch meiner Tochter entsprechen, wie ich annehme. Sie halten die Lektüre in Händen, die Victoria einst zu lesen aufgetragen war. Sie versuchte zwar, das Buch wegzuwerfen, aber ich holte es aus dem Papierkorb und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass sie Ihren Namen auf jede Seite gekritzelt hatte. Meine geliebte Gemahlin Josephine hatte die Angewohnheit, meinen Namen in ähnlicher Weise auf die Seiten ihrer Bücher zu schreiben. Offenbar war sie der Überzeugung, große Bücher sollten den Namen eines großen Mannes zieren. Mir war lange nicht bewusst, dass Victoria diese seltsame Eigenart ihrer Mutter fortsetzte. Nach dem tragischen Tod meiner Frau war ich nicht der Vater, der ich hätte sein müssen. Und nun glaube ich fest daran, dass meine Josephine mir aus dem Jenseits eine Botschaft übermittelt und mich bittet, für das Lebensglück meiner Tochter zu sorgen, ehe auch ich das Zeitliche segne. Ich hoffe sehr, Sie behandeln meine Tochter mit der Würde und Wertschätzung, die sie bereits als Debütantin zu Beginn ihrer ersten Ballsaison verdient hätte. Möge Gott Euch beide segnen. Ich hege die große Hoffnung, Victorias Wahl zwischen den drei Kandidaten fällt auf Sie.
Linford
Jonathan schluckte schwer, fühlte sich beklemmend an seinen eigenen Vater erinnert, der zwar stets eine strenge Fassade zur Schau getragen hatte, aber nie zu stolz gewesen war, Zugeständnisse zu machen. Er hatte dem Earl stets große Achtung entgegengebracht, einem Mann, der immer nur das Beste für seine Tochter im Sinn hatte. Aber war er, Jonathan Pierce Thatcher, Viscount Remington immer noch der Beste für sie? Er musste fest daran glauben, der Beste zu sein. Wenn auch nur um Victorias willen. Auch wenn er seine Seele verkauft hatte, der Wunschtraum, der ihn einst mit Victoria verbunden hatte, war geblieben. So süß und rein wie am ersten Tag.
Sinnend blätterte Jonathan in dem Buch. Wehmütig lächelnd entdeckte er seinen Namen auf jeder Seite, manchmal am Rand, manchmal oben und manchmal unten. Und er musste daran denken, wie er im Hinterland von Venedig Victorias Namen in jeden Baum geritzt hatte. Und dann begann er einen Absatz zu lesen, neben dem sein Namen geschrieben stand:
Ehemänner gleichen Blumen. So mühevoll es auch sein mag, sie bedürfen täglicher Pflege. Wenn Ihr Lächeln nicht strahlt wie der Sonnenschein, wenn Sie versäumen, seine Seele mit Worten, Sanftmut und Aufmerksamkeit zu nähren, verdorrt sein Stamm und seine Blüte welkt. Allerdings können Sie Ihren Gemahl nicht wie eine verwelkte Pflanze aus der Erde reißen, wegwerfen und durch eine neue ersetzen. Sie müssen Ihren Garten hegen und pflegen. Sein Wohlergehen hängt einzig und allein von Ihnen ab.
Jonathan klappte das Buch zu. Nie und nimmer hätte er damit gerechnet, seinen Namen ausgerechnet neben dieser Passage zu finden.
SKANDAL 6
Viele Frauen unterwerfen sich jedem Modediktat und kleiden sich prunkvoll, um in der Gesellschaft zu glänzen. Da Gott bei der Erschaffung der Menschen die Kleiderfrage außer Acht ließ, vertrete ich die Ansicht, dass eine kleine modische Torheit gelegentlich zu verzeihen ist. Es besteht allerdings ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Wunsch, sich vorteilhaft zu kleiden oder mit mondäner Garderobe Aufsehen zu erregen. Eine Dame wirkt in extravaganten Roben vulgär und löst einen unnötigen Skandal aus.
Wie vermeidet man einen Skandal, Autor unbekannt
16. April
Der Abend der Vorstellung
D ie Lichter der Gaslaternen huschten durch die Fenster der fahrenden Kutsche über Graysons gespannte Gesichtszüge. „Dein Ausschnitt ist entschieden zu gewagt. Bedeck dich bitte mit dem Schal.“
Victoria verdrehte die Augen. Ihr grünes Seidenkleid war keineswegs tief dekolletiert. „Falls du es vergessen haben solltest, Grayson, ich bin keine
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