Mein skandaloeser Viscount
die ihn betreuen, haben diese Diagnose bestätigt und geben ihm noch acht bis zehn Monate.“
Jonathan schluckte schwer. Nicht auszudenken, was Victoria durchmachen musste. Sie und ihr Vater waren unzertrennlich.
Grayson wandte sich zu ihm um. „Sein Advokat hat mich damit beauftragt, dir die Bedingungen mitzuteilen. Also hör zu.“ Er räusperte sich. „Im Namen meines Onkels, des sechsten Earl of Linford, der bedauerlicherweise nicht in der Lage ist, diese Botschaft persönlich zu überbringen, bin ich bevollmächtigt, dir, Viscount Remington, bekannt zu geben, dass du dazu aufgerufen bist, um die Hand von Lady Victoria Jane Emerson anzuhalten, damit sie vor seinem Ableben verheiratet wird. Bist du damit einverstanden, einer von drei Bewerbern zu sein, im Wissen, dass sie einen anderen wählen könnte?“
Jonathan fiel die Kinnlade herunter. „Ich soll mich mit anderen um ihre Hand bewerben? Mit einer Schar eitler Gockel?“
„Ja. Mit zwei eitlen Gockeln.“
„Guter Gott. Ich … Welche Chance hätte ich denn gegen zwei Mitbewerber? Nicht die geringste. Ich bin bereit, für den Rest meines Lebens im Staub vor ihr zu kriechen, um mich ihrer würdig zu erweisen, aber wie soll ich mich gegen zwei andere behaupten?“
Grayson zupfte das Revers von Jonathans Gehrock zurecht. „Du schaffst das. Ich bin mir sicher, dass du es schaffst.“
Jonathan wich zurück und wischte sich mit einer Hand über das Gesicht. „Wie denn? Sobald ich ihr erkläre, warum ich plötzlich spurlos untergetaucht bin, wirft sie sich doch dem nächsten Bewerber in die Arme. Das steht fest.“
„Mach die Sache nicht komplizierter, als sie ist. Victoria muss doch nichts davon erfahren. Je weniger du ihr erzählst, desto besser für euch beide. Und wenn du dich nach der Hochzeit verplapperst, na und? Mach dir Gedanken darüber, wenn es passieren sollte. Nicht jetzt. Bring sie vorerst dazu, dich zu heiraten. Was kann schon geschehen, wenn ihr beide verheiratet seid?“
Jonathan starrte ihn finster an. „Sie würde mich hassen. Du magst den Wert einer liebenden Ehefrau nicht zu schätzen wissen, aber ich tue ihr das nicht an. Ich habe sie schon genügend enttäuscht.“
Gleichmütig zuckte Grayson die Achseln. „Tu, was du für richtig hältst. Allerdings musst du dir darüber im Klaren sein, dass sie nach Gründen sucht, um die Flucht zu ergreifen, und wenn du ihr die Gründe lieferst … dein Pech.“ Grayson schwieg, legte den Kopf seitlich und befingerte Jonathans grüne, spitzenverzierte Krawatte. „Was zum Teufel ist das? Seide? Verzeih, aber ich kann nicht zulassen, dass du in diesem affigen Zeug durch London flanierst. Schon beim Anblick dieser Krawatte wird sie davonlaufen.“
Jonathan schlug ihm unwirsch die Hand weg. „Wenn sie mich wegen meiner Krawatte ablehnt, die im Übrigen der letzte Schrei in Venedig ist, kann ich kaum erwarten, dass sie überhaupt Notiz von mir nimmt, oder ?“ Zischend stieß er den Atem aus. „Wie kann der Earl mir das antun? Es ist doch eindeutig, wie mühsam es für mich sein wird, ihre Gunst wiederzuerlangen. Wie stehe ich denn da, wenn zwei andere Fatzken um sie werben?“
Grayson stellte sich wieder vor den Kamin. „Hast du tatsächlich gedacht, er überlässt dir Victoria, ohne ihr die Chance zu geben, selbst über ihr Schicksal zu entscheiden? Hier geht es um ihr Glück, Remington. Nicht um dich.“
Jonathan schwieg beklommen. Dieses Argument leuchtete ihm ein. Es war bitter genug, gegen zwei Konkurrenten anzutreten. Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, um sie von seiner Aufrichtigkeit zu überzeugen, doch das würde nicht reichen. Es bedurfte der Zauberkraft einer ganzen Schar guter Feen. Die es nicht gab.
Abgesehen von allen Vorbehalten, die Victoria bereits gegen ihn hegen musste, weil er sie so schmählich im Stich gelassen hatte, konnte Jonathan vorhersehen, was sich zutragen würde, wenn er ihr seine Verfehlungen beichtete, die bleiern auf seiner Seele lasteten: Sie würde nicht nur die Flucht ergreifen, sie würde ihn bis ans Ende ihrer Tage hassen und verfluchen. Er aber wünschte sich von ganzem Herzen, dass sie ihn als den Mann in Erinnerung behielt, der er einmal war. Nicht als den, der aus ihm geworden ist.
Er seufzte tief. „Welche Chance hätte ich gegen zwei andere?“, wiederholte er mutlos. „Keine. Damit würde ich nur sie und mich quälen. Ich halte es für besser, nach Venedig zurückzukehren und die Sache auf sich beruhen zu lassen.“
Grayson
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