Mein skandaloeser Viscount
deine Stimme so traurig klingt?“
„Verzeih, ich war in Gedanken.“ Sie überlegte fieberhaft. „Ich kenne einen Gassenhauer. Willst du ihn hören?“
„Unbedingt. Lass mich hören.“
„Aber ich muss dich warnen. Er ist ein bisschen vulgär.“
Er schwieg einen Moment. „Wieso kennst du ein vulgäres Lied?“
Sein besorgter Tonfall ließ sie schmunzeln. „Grayson sang es immer, wenn er uns besuchte und drohte mir, es so lange zu singen, bis ich verheiratet wäre. Und er hielt Wort. Ständig sang er es und ging mir damit unsagbar auf den Geist, bis ich mir schließlich die Zeilen merkte und ihn damit ärgerte, es ihm ebenfalls entgegenzuschmettern. Mein Vater tobte vor Zorn, als er es hörte. Er war nicht nur wütend auf Grayson, sondern noch wütender auf mich, weil es so zotig ist.“
Remington machte es sich bequem. „Das muss ich hören. Los. Sag es auf.“
Sie schloss die Augen, um sich konzentrieren zu können: „‚Es lebte einst eine schöne Maid, die hätt’ manch strammer Jüngling gern gefreit. Ein Wanderbursch hält um sie an, bis über beide Ohren in sie verschossen, doch sie sagt Nein und bleibt verschlossen, bis sein Werben erschlafft, weil er es nicht schafft. Ein Wanderbursch, sagt sie, ist zu gering, ich will ’nen Bessren und bewahr mein Ding. Soll er sich nehmen eine, die damit zufrieden, mit ’nem Bettler im Bett zu liegen.“
Remington musste lachen. „Das habe ich noch nie von Grayson gehört.“
„Weil er dich mehr liebt als mich.“
„Das stimmt nicht. Aber weiter.“
„‚Ein edler Ritter hoch zu Ross stahl ihr ’nen Kuss, wollt sie führen auf sein Schloss, wenn sie ihn ließe in ihren Schoß. Nein, sagt sie, wie man oft hört, ein Rittersmann manches schwört, und wenn er mal sein Ziel erreicht, sich nachts von dannen schleicht.‘“
„Bist du sicher, dass Grayson dir das beigebracht hat? Die schöne Maid, die alle Bewerber abweist, klingt verdächtig nach dir.“
Victoria gab ihm einen Klaps auf den Arm. „Du sollst endlich einschlafen. Also, wo war ich?“ Sie holte tief Luft. „‚Der nächste, ein flotter Bursch mit grünem Sack und Tintenhorn, präsentiert sich ihr in schriftlicher Form, doch sie schickt ihn fort im Zorn. Ein Wucherer wirbt mit Juwelen und Kisten voll Gold, aber wie sie sich zierte und spielt die Genierte, die Gute wollt nicht begeben sich unter seine Rute.‘“
„Das ist ein ruchloses und schlüpfriges Gedicht. Schluss damit. Ich habe genug gehört.“
„Sei still. Du bist keine prüde Jungfer. Es sind nur noch zwei Strophen. ‚Ein Sergeant kam als Nächster gerannt, der Fesche wollt ihr an die Wäsche. Doch sie schlug eine Finte und er zog ab mit gespannter Flinte.‘“
„Ich schlage Grayson die Nase blutig, dir so ruchlose Verse beizubringen.“
Sie lachte. „Hör endlich auf, mich zu unterbrechen. ‚Ein Schneider im feinen Tuch macht ihr ’nen Besuch, zeigt seine Elle, war schleunigst zur Stelle, will ihren Schlitz überm Knie flicken, wenn sie sich ließe von ihm …‘“
Er verschluckte sich an seinem Lachen. „Das hilft mir nicht einzuschlafen. Nicht die Spur.“
Sie kicherte. „Du wolltest es hören.“
„Das bedauere ich zutiefst. Bist du fertig?“
„Noch nicht ganz. Es wären viele zu nennen neben den Freiern, die wir schon kennen. Sie alle nährten das Hoffen, sie zeige sich offen und gewähre Einlass in ihren Engpass, doch jung wie sie war, sah sie die Falle und blieb streng gegen alle. Die sind zu gering, ich bewahre mein Ding, halte schön still, bis verheirat’ ich bin, mag jeder auch sagen, was er will.“ Sie schwieg. Remington hatte im Grunde recht. Irgendwie trafen die Verse auf sie zu.
Nach einer Weile fragte er zögernd: „War’s das?“
„Ja. Willst du noch ein Gedicht hören?“
„Hmm … nein.“
„Kannst du jetzt einschlafen?“
„Ja.“
„Gut.“
„Gute Nacht, Victoria.“
„Gute Nacht, Remington.“
Er rückte näher. „Ich hatte wirklich gehofft, du nennst mich endlich Jonathan. Alle Welt nennt mich Remington, aber bitte nicht du.“
Ihr Herz erbebte. „Gute Nacht, lieber Jonathan.“
Er brummte wohlig. „Ich höre es gern, wenn du mich leise ‚lieber Jonathan‘ nennst.“
Gütiger Himmel, würde ihr Herz denn nicht aufhören zu flattern wie ein Schmetterling im Wind? Sie war nahe dran, sein Gesicht in beide Hände zu nehmen und ihn leidenschaftlich zu küssen. Wenn nicht … Wenn sie nicht befürchten müsste, ihn zu verärgern. Oder sie würde sich
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