Mein skandaloeser Viscount
Luft. „London nicht gut, eh? Venezia schöner.“
Remington tippte mit zwei Fingern an die Krempe seines Zylinders. „ Si , Antonio, Venezia ist schöner. Aber ich habe eine Schönheit mitgebracht, um die ganz Venezia mich beneiden wird.“ Er nahm Victoria bei der Hand und ging mit ihr zu Antonio. „Darf ich dir Antonio vorstellen, meine Liebe. Einer der vielen Gondolieri, die meinen Weg im Lauf der Jahre kreuzten. Er wird dies zwar bestreiten, aber er kennt sich mit Fremdsprachen besser aus als mit Frauen. Antonio, mia moglie , Signora Victoria.“
„Moglie?“ , rief Antonio staunend und maß Victoria keck mit dunklen Blicken, als wäre sie nackt. Er sprang mit einem kühnen Satz auf den Steinvorsprung, worauf die Gondel heftig auf den Wellen tanzte, und ließ einen langen anerkennenden Pfiff hören. „Tutti i ragazzi vogliono conoscere una bella ragazza come lei.“
Victoria zog pikiert die Brauen hoch. Dieser junge Italiener erschien ihr unerhört frech. Sie konnte zwar nur rätseln, was er sagte, aber sein Tonfall ließ vermuten, dass seine Worte nicht weniger dreist waren als seine Blicke, und sie wünschte, Mrs Lambert hätte ihr Italienisch beigebracht, statt sie all die Jahre mit französischer Grammatik zu traktieren.
„Ich nehme an“, sagte sie zu Remington, „du hast mich ihm als deine Gemahlin vorgestellt, und er billigt deine Wahl?“
Remington drückte zärtlich ihre Hand und schmunzelte. „Seiner Meinung nach träumt jeder Mann von einer Frau wie dir, was ich bereits seit Jahren weiß.“
Mit rosig überhauchten Wangen wandte sie sich an den Gondoliere, der sie mit unregelmäßigen, sehr weißen Zähnen strahlend anlächelte. „Grazie, Signore.“ Das war in etwa alles, was ihr an italienischem Wortschatz zur Verfügung stand.
Antonio riss sich die Mütze vom Kopf, darunter kam eine schwarz glänzende Lockenfülle zum Vorschein, um die ihn jede Frau beneidet hätte.
Er vollführte eine galante Verneigung.
Remington ließ ihre Hand los und richtete mit melodisch dunkler Stimme einen längeren Satz an den Italiener.
Antonio verdrehte die Augen himmelwärts, schüttelte den Kopf, antwortete mit einem Wortschwall und setzte seine Mütze wieder auf. Dann lud er das Paar mit großer Geste in seine Gondel ein.
Victoria zog an der Schnur ihres perlenbestickten Retiküls, um nach Münzen zu suchen.
Remington neigte sich ihr zu. „Antonio besteht darauf, uns die ersten Tage kostenlos zu befördern. Dadurch erhofft er sich natürlich, dass du während deines Aufenthalts ausschließlich seine Dienste in Anspruch nimmst.“
Victoria hob erstaunt den Blick, blickte zu Antonio und nickte ihm mit einem scheuen Lächeln zu.
Antonio wackelte grinsend mit seinen buschigen schwarzen Augenbrauen.
Im Begriff, die Gondel zu besteigen, warf Remington ihm einen strengen Blick zu. „Nimm dir nicht zu viele Freiheiten mit meiner Gemahlin heraus, sonst häng ich dich am nächsten Kirchturm auf.“
Victoria gab ihm einen Klaps. „Lass ihm doch die Freude; er ist ein netter Bursche.“
Remington half ihr beim Einsteigen. „Ich will nur nicht, dass du dich belästigt fühlst. Italienische Männer sind respektloser, als du es von Engländern gewöhnt bist.“
„Das ist mir bereits aufgefallen, und ich finde es charmant.“ Sie näherte sich der Überdachung. „Darf ich …?“
„Selbstverständlich.“ Er hielt ihr den hellen Vorhang auf.
Victoria sank auf die Polsterbank, ordnete ihre Röcke und ließ den Blick schweifen. Das Schaukeln des schmalen Bootes störte sie keineswegs, und sie fühlte sich behaglicher als in einer Kutsche.
Remington setzte sich und drängte sie dichter an den Vorhang, den er öffnete und seitlich festband.
Er nahm den Zylinder ab, stellte ihn zu seinen Füßen, legte zu ihrer Überraschung einen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. „So sitzen wir bequemer“, murmelte er an ihrem Ohr.
Sie unterdrückte ein Lächeln und schmiegte sich an ihn. Es wäre skandalös, würde ihr Ehemann während einer Spazierfahrt durch den Hyde Park einen Arm vertraulich um sie legen. Ein Skandal, über den die vornehme Gesellschaft sich eine ganze Saison entrüsten würde. Und sie musste gestehen, dass ihr Venedig schon aus diesem Grund sympathisch war. Eine Stadt, in der offenkundig weniger Voreingenommenheit und gesellschaftlicher Zwang herrschten als in London.
Die Gondel glitt auf den Canal Grande hinaus, die Wellen schlugen plätschernd gegen den schlanken Rumpf, eine
Weitere Kostenlose Bücher