Mein skandaloeser Viscount
schlussendlich nicht länger zusammenreißen können, und beide würden in dieser Nacht kein Auge zutun.
„Gute Nacht“, wiederholte sie.
„Gute Nacht.“
Schweigen hüllte sie ein. Allmählich erloschen die Lampen, und in der Dunkelheit war nur das leise Knarren der Bretter zu hören und das Rauschen des Ozeans am schwankenden Schiffsrumpf. Sie horchte auf Jonathans Atemzüge, fühlte sich geborgen, ihn neben sich zu wissen, und hoffte, er würde endlich Schlaf finden.
Es dauerte endlos lange, bis er flacher und langsamer atmete. Sie wusste nicht, wie lange sie wach in der Dunkelheit lag – eine, zwei, vielleicht drei Stunden –, bis auch sie es endlich zuließ, dass der Schlaf sie übermannte.
SKANDAL 14
Eine Dame, die allzu große Begeisterung zeigt, erweckt den Eindruck, kindlich und unreif zu sein. Das rechte Maß der Gefühlsäußerung zu finden ist eine hohe Kunst. Entgegen der herrschenden Ansicht, eine Dame habe sich jeglicher Gefühlsregung zu enthalten, befürwortet der Autor, ein gewisses Maß an Empfindungen zu äußern, um andere wissen zu lassen, was sie denkt und fühlt, ohne allerdings den Eindruck zu erwecken, sie sei im Hühnerstall aufgewachsen. Kultivieren Sie Feingefühl in der Äußerung Ihrer Empfindungen und Gedanken, und es wird Ihnen zum Vorteil gereichen.
Wie vermeidet man einen Skandal, Autor unbekannt
Früher Morgen
Venedig, Italien
V orsichtig trippelte Victoria die Schiffstreppe zur Anlegestelle hinunter. Ein kühler Morgenwind wehte ihr die Seidenbänder der plissierten Schute ins Gesicht. Als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen verspürte, seufzte sie erleichtert und atmete die frische Brise tief ein, die würzig nach Meer, Algen und Fisch roch, vermischt mit einem fruchtigen Hauch, der an Melonen erinnerte.
Die Pflastersteine schienen immer noch zu schwanken nach den Wochen auf hoher See, dennoch verspürte sie neue Kraft in sich aufsteigen. Sie glaubte sich in ein Gemälde von Canaletto ins 18. Jahrhundert versetzt. Hoch über ihr wölbte sich ein strahlend blauer Himmel mit weißen Wölkchen, und es wäre ihr keineswegs merkwürdig vorgekommen, wenn sich darauf pausbäckige Engel getummelt hätten. Unter dem malerischen Himmel dehnte sich das endlose türkisblaue Meer, auf dessen Wellenkronen das Sonnenlicht glitzernd tanzte.
Sie wandte den Blick den Prachtbauten zu, die das Wasser säumten. Paläste aus Marmor und Backstein reicher Adeliger und Patrizier mit Arkadenreihen im Erdgeschoss reihten sich dicht gedrängt am Kanal aneinander, soweit das Auge reichte. In der Ferne spannte sich eine helle Steinbrücke im weiten Bogen über den Canal Grande, die Rialtobrücke, wie Jonathan ihr bei der Einfahrt in den Hafen erklärt hatte.
Die hohen Fenster der Fassaden waren mit Blumen geschmückt. Auf einem schmalen Steinbalkon entdeckte sie zwei bunt gekleidete Frauengestalten, die spielerisch ihre Spitzenfächer bewegten und plaudernd die schmalen Boote beobachteten. Eine Schar Tauben flog tief über das Wasser, schwang sich über die roten Dächer und verschwand am Horizont.
Das Bild strahlte einen märchenhaften Zauber aus. All diese prachtvollen Bauten, die wie bunte wunderschöne Blumen aus dem Wasser ragten, waren auf tief in den Meeresboden versenkten Eichenpfählen erbaut.
Remington trat neben sie. Die geschwungene Krempe seines Zylinders beschattete seine blauen Augen gegen die gleißende Helle. Galant reichte er ihr den Arm. „Willkommen in Venedig, signora .“
Ihr Herz pochte freudig erregt. Sie war tatsächlich in Venedig. Mit Remington. Lächelnd legte er ihre behandschuhten Finger an den Ärmel seines eleganten grauen Gehrocks und führte sie einen schmalen Pflasterweg am grün schimmernden Wasser entlang, das gegen die Steinumrandung schwappte.
„Als Erstes machen wir eine Gondelfahrt. Unser Gepäck lasse ich nachkommen.“ Remington wies zu schmalen schwarzen Booten hinüber, die neben aufragenden Pfählen schaukelten. Ungewöhnlich geformt, mit aufgebogenen Enden wie die Schnabelschuhe eines Sultans, mit seltsam gezackten Metallbeschlägen und mittschiffs einer Überdachung mit gerüschten Vorhängen.
Victoria blickte ihn fragend an. „Sind das Gondeln?“
„Ja.“
„Die sehen eher aus wie orientalische Särge.“
Remington lachte und gab ihren Arm frei, als sie sich einem tief gebräunten jungen Mann näherten, der im Heck einer Gondel stand.
„Signore Remington!“ , rief er und schwenkte ein langes Ruder durch die
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