Mein skandaloeser Viscount
kühle Brise bauschte die offenen Vorhänge, spielte mit den Seidenfransen und fächelte ihre Gesichter.
Victoria glaubte, zwischen Himmel und Erde zu schweben, als sie an zahllosen Gondeln und Frachtkähnen in dem breiten Kanal vorbeifuhren. Sie blickte zu den hohen Bogenfenstern hinauf, in denen sich Himmel und Wolken spiegelten, dann wieder auf die grünen Wellen, in denen die prächtigen Fassaden in verzerrten Schlieren reflektiert wurden.
Antonio rief etwas auf Italienisch, als die Gondel in einen schmalen Kanal einbog, wo die Häuser zum Greifen nah standen. Das Wasser schlug gegen Steinmauern, beim Zurückweichen der Wellen wurden grün bemoostes Mauerwerk und dunkler Algenbelag sichtbar. Reichgeschnitzte Holzportale über Steinschwellen, kaum eine Armlänge entfernt, glitten vorüber. Eine beklemmende Vorstellung, aus dem Haus zu treten und mit dem nächsten unbedachten Schritt ins Wasser zu stürzen. Umgeben von all dieser malerischen Schönheit, den glitzernden Wellen, in einer Gondel neben Remington zu sitzen, seine Wärme und Zuneigung zu spüren, erfüllte Victoria mit einem Glücksgefühl, einer heiteren Sorglosigkeit, die sie seit Jahren nicht empfunden hatte. Die Welt schien … vollkommen zu sein.
Irgendwann lenkte Antonio die Gondel langsam zu einem Steinvorsprung vor einer Backsteinfassade und hielt an. Victoria setzte sich aufrecht und blickte auf eine grellrot lackierte Eingangstür mit einem schweren Messingklopfer in Form eines Löwenhauptes.
Remington zog seinen Arm zurück, setzte den Hut auf, stieg auf die Steinstufe, worauf die Gondel ins Schwanken geriet, und streckte Victoria hilfreich eine Hand entgegen. „Heute Abend machen wir wieder eine Gondelfahrt. Aber jetzt besuchen wir Cornelia.“
Victoria freute sich darauf, seine Stiefschwester endlich kennenzulernen, nahm seine Hand, raffte die Röcke und trat etwas unbeholfen auf die Steinstufe, atmete erleichtert auf und löste ihre Hand aus seiner.
„Hol uns wieder ab, wenn der Mond am höchsten steht, Antonio!“, rief Remington dem Gondoliere zu.
„Si, Signore!“ , erwiderte Antonio fröhlich, tauchte das lange Ruder ein, und seine Gondel glitt lautlos davon.
Victoria schaute sich ein wenig beklommen um. Sie stand mit Remington auf dem schmalen Steinvorsprung direkt am Wasser, vor ihnen die geschlossene rote Eingangstür.
„Hoffentlich ist Cornelia zu Hause, sonst müssen wir wohl oder übel schwimmen.“
Remington schlug den Messingring im Löwenmaul gegen die Türfüllung. „So früh am Morgen ist sie mit Sicherheit zu Hause. Im Übrigen werden wir auf jeden Fall eingelassen.“
Victoria strich sich aufgeregt die Röcke glatt. „Und wenn Cornelia mich ablehnt?“
„Dann muss ich mir wohl eine andere Frau nehmen.“
Sie knuffte scherzhaft seinen Arm, als die Tür halb geöffnet wurde.
Ein hagerer grauhaariger Mann mit faltigem, von der Sonne gegerbtem Gesicht beäugte das Paar argwöhnisch. Dann erhellten sich seine Züge, die Tür flog auf, und er kam mit ausgebreiteten Armen auf Remington zu. „Signore!“
„Marcello.“ Remington legte verschwörerisch einen Finger an den Mund. „Sagen Sie Cornelia und Giovanni Bescheid, dass ich angekommen bin. Aber nichts über meine Begleitung.“
Der Mann nickte beflissen, legte seinerseits einen Finger an die verschlossenen Lippen und bat die Besucher einzutreten.
Remington führte Victoria ein paar Steinstufen hinauf in ein offenes Foyer mit Marmorsäulen und vergoldeten Stuckverzierungen, von dem man links und rechts in andere Räume gelangte.
Die Pforte fiel ins Schloss und verdunkelte das Foyer, in dem Kerzen in mehrarmigen Leuchtern vor honigfarbenen Seidentapeten brannten.
Der Butler, den ein deutlicher Weingeruch umwehte, verneigte sich vor Victoria, um ihr aus dem Mantel zu helfen. „Signora?“
„Oh. Grazie. “ Sie ließ sich das Samtcape abnehmen und reichte ihm Hut, Handschuhe und Retikül. Anschließend schlurfte er zu Remington, der ihm seinen Hut und die Handschuhe gab. Marcello legte alles auf einer Konsole ab. Dann stieg der alte Diener leicht schwankend die Treppe hinauf, offenbar in einem Zustand der Trunkenheit, der einem Butler in London augenblicklich die Stellung gekostet hätte.
Victoria zupfte mit gemischten Gefühlen an ihrem Mieder und blickte ein wenig ängstlich zur Treppe. Sie hatte sich zwar schon lange gewünscht, Cornelia zu begegnen, allerdings nicht zu so früher Morgenstunde und obendrein noch unangemeldet.
Remington trat
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