Mein Sommer nebenan (German Edition)
Schatten zu stehen und deine Handlangerin zu sein. Das ist mir einfach … zu anstrengend.« Sie senkt ihre Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Ganz abgesehen davon, dass du jetzt etwas über mich weißt, das du dazu benutzen könntest, mein Leben zu ruinieren.«
»Du weißt genau, dass ich das niemals jemandem erzählen würde«, sage ich leise und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich die Unterstellung, ich könnte sie verraten, verletzt. Meine Brust fühlt sich plötzlich so eng an, dass ich kaum Luft bekomme. Zu anstrengend, Nan? Warum? Weil man in einer Freundschaft mit offenen Karten spielen muss und keine unerlaubten Hilfsmittel benutzen kann? »Kennst du mich wirklich so schlecht? Das würde ich nie tun. Ich finde nur, dass du … du hast es nicht nötig, zu betrügen, dafür bist du zu intelligent. Verdammt, Nan, ich möchte deine Freundin sein und … ich brauche dich. Jase’ Vater ist etwas total Schlimmes passiert und …«
»Ich hab davon gehört«, unterbricht sie mich. »Tim hat es mir gesagt. Außerdem ist dein Typ neulich bei uns vorbeigekommen, um mir zu erzählen, wie aufopferungsvoll du ihm und seiner Familie zur Seite stehst und dass du mich vermissen würdest. Von wegen, du erzählst es niemandem, Samantha. Dein Supertyp hat offensichtlich genau gewusst, was passiert ist.«
»Ich habe ihm nur gesagt, dass es gerade ein bisschen schwierig zwischen uns ist, aber nicht, warum wir uns gestritten haben.« Ich finde es schrecklich, dass ich mich so anhöre, als wollte ich mich rechtfertigen. Nan blickt auf ihre Hände hinunter. Sie hat schon immer an den Nägeln gekaut, aber jetzt sind sie bis aufs Fleisch abgeknabbert. »Ich hätte nie gedacht, dass er dich darauf ansprechen, geschweige denn extra deswegen bei dir vorbeifahren würde.«
»Der Typ würde alles für dich tun. Du bekommst immer die strahlenden Helden, die zu deiner Rettung eilen. Ich dagegen bekomme … Daniel.«
Du hast dir Daniel selbst ausgesucht , würde ich am liebsten sagen, aber das würde alles nur noch schlimmer machen. Mittlerweile hat sie hektische Flecken im Gesicht und diesen Blick, den ich sehr gut kenne und der bedeutet, dass sie gleich weinen wird. »Ach, Nan …«
»Spar dir dein Mitleid. Und deine Freundschaft will ich auch nicht.« Sie hängt sich ihre Tasche über die Schulter und sieht mich kühl an. »Wenn du jetzt bitte gehen könntest. Ich muss den Laden abschließen.« Ich folge ihr nach draußen, wo sie die Tür verriegelt, sich umdreht und einfach davonstolziert. Ein paar Meter weiter bleibt sie noch einmal stehen und sagt über die Schulter: »Wie fühlt es sich an, ausnahmsweise mal nicht zu bekommen, was du willst, Samantha?«
So habe ich mich noch nie gefühlt.
Dieser Gedanke ist mir, seit ich Jase kennengelernt habe, immer wieder durch den Kopf gegangen. Aber er stand für etwas Schönes, nicht für diesen Knoten in meinem Magen, der mich von jetzt an überallhin begleitet.
Jase holt mich im B&T ab und fragt, ob es mir etwas ausmacht, wenn wir im Krankenhaus vorbeifahren.
Mir wird kurz übel. Ich habe Mr Garrett seit seinem Unfall – seit dem, was Mom ihm angetan hat – nicht mehr gesehen. »Natürlich nicht«, antworte ich. Aber das ist eine Höflichkeitslüge. Die erste, die ich ihm gegenüber je benutzt habe.
Die Intensivstation befindet sich im vierten Stock und wir müssen uns an der Pforte ausweisen und anmelden, um den Bereich betreten zu dürfen. Als wir dort sind, muss Jase sich sichtlich zusammenreißen, bevor er das Krankenzimmer betritt. Mir geht es genauso, aber das verberge ich vor ihm.
Mr Garrett wirkt in seinem Krankenhaushemd und inmitten der vielen Kabel und Schläuche ganz schmal. Sein Gesicht ist eingefallen und seine sonst so gebräunte Haut sieht in dem kalten Neonlicht grau und fahl aus. Das ist nicht der Mann, der mühelos einen Stapel Holz auf der Schulter trägt, der Harry oder George schwungvoll Huckepack nimmt und in hohem Bogen einen Football übers Feld wirft. Jase zieht einen Stuhl näher ans Bett, setzt sich und greift nach der Hand seines Vaters, in der eine mit Pflaster befestigte Kanüle steckt. Während er sich zu ihm vorbeugt, um ihm leise etwas ins Ohr zu sagen, blicke ich wie versteinert auf den Monitor, auf dem sein Herzschlag als auf- und absteigende Kurve angezeigt wird.
Während der Nachhausefahrt blickt Jase starr geradeaus. Statt wie sonst nach meiner Hand zu greifen, umklammert er das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel
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