Mein Sommer nebenan (German Edition)
weiß hervortreten. Ich rutsche in meinen Sitz tiefer und stemme die Füße gegen das Armaturenbrett.
»Fahren wir nicht nach Hause?«, frage ich, als er an der Ausfahrt zur Main Street nicht abbiegt.
Jase seufzt. »Ich will noch kurz bei Monsieur Bob vorbei und ihn fragen, ob er den Mustang zurückkaufen will und was er mir dafür geben würde. Ich habe eine Menge Zeit in den Wagen investiert, von dem Geld gar nicht zu reden.«
»Nein, Jase!« Ich drehe mich erschrocken zu ihm um. »Tu das nicht. Du darfst den Mustang nicht verkaufen.«
»Es ist nur ein Auto, Sam.«
Der Satz versetzt mir einen Stich. Ich denke an all die Stunden, die Jase vergnügt vor sich hin pfeifend daran herumgeschraubt hat, wie oft er in Automagazinen blättert und Seiten markiert. Für ihn ist es nicht nur ein Auto. Der Mustang bietet ihm einen Rückzugsort, an dem er entspannen und wieder zu sich selbst finden kann. Er ist für ihn das, was für mich das Dach war, wenn ich von dort aus Sterne beobachtet habe. Oder die Garretts. Er ist wie das Wasser, in dem ich eins mit der Welt werde, wenn ich darin schwimme.
»Er ist viel mehr als das«, sage ich.
Jase lächelt stumm. Statt weiter zu Monsieur Bob zu fahren, wendet er bei der nächsten Gelegenheit und schlägt den Weg entlang des Flusses zum McGuire Park ein, wo er schließlich hält.
Der Käfer ist alt und entsprechend laut ist sein Motor, aber das ist wahrscheinlich nicht der Grund, warum es mir plötzlich so leise vorkommt, als Jase den Zündschlüssel zieht. Es ist das erste Mal seit jenem Abend, dass ich wieder hier bin. Natürlich ist es nicht wirklich still. Durch das geöffnete Wagenfenster dringt das Röhren eines vorbeirasenden Speedboots, dessen Kielwasser an die Felsen brandet, und das Kreischen der Möwen, die Muscheln auf die Steine fallen lassen. Jase steigt aus. Er blickt nicht zu dem Geheimversteck unten am Fluss hinüber, sondern zu der Kurve auf Höhe des Spielplatzes.
»Ich rufe immer wieder bei der Polizei an«, erzählt er leise, nachdem ich ebenfalls ausgestiegen bin, »aber jedes Mal heißt es bloß, dass sie absolut nichts tun können, weil es keine Zeugen gab.« Er kickt ein Kieselsteinchen über den sandigen Weg ins Gras. »Warum musste es in der Nacht regnen? Es hat fast den ganzen Sommer über nicht geregnet.«
»Spielt das denn wirklich eine so große Rolle?«, frage ich.
»Wenn es nicht geregnet hätte«, Jase geht in die Hocke und malt mit den Fingern Muster in den Schotter, »hätte man vielleicht noch irgendwelche Spuren gefunden. Reifenabdrücke. Scherben von einem zerbrochenen Scheinwerfer. So wie die Dinge im Moment stehen, wird derjenige, der dafür verantwortlich ist, einfach so davonkommen und nie erfahren, was er angerichtet hat.«
Oder es wissen und sich nicht darum scheren.
Ich schäme mich so sehr und wünsche mir nichts mehr, als ihm die Wahrheit sagen zu können, ihm alles zu erzählen. Mit ihm zu reden ist mir von Anfang an so leicht gefallen. Selbst wenn es um Dinge ging, die ich vorher noch niemanden erzählt hatte. Er hat immer zugehört und es verstanden.
Aber ihm sagen, dass meine Mutter diejenige ist, die …? Ausgeschlossen.
Wie soll er etwas verstehen, was ich noch nicht einmal selbst begreife?
Dreiundvierzigstes Kapitel
H allo, Schatz!«, begrüßt Mom mich fröhlich, als ich mich nach meiner Schicht im B&T in die Küche schleppe. »Ich habe ein paar Mahlzeiten für dich vorgekocht und eingefroren, damit etwas da ist, das du dir nur noch aufwärmen musst. Ich bin in nächster Zeit so viel unterwegs, dass wir gar nicht mehr dazu kommen, zusammen zu essen und möchte nicht, dass du dich die ganze Zeit von diesem ungesunden Zeug im Breakfast Ahoy oder den Snacks im Club ernährst. Also habe ich ein bisschen was vorbereitet – unter anderem Hähnchenragout mit Champignons, das magst du doch so gern, und Soße für Spaghetti Bolognese.« Ihre Stimme klingt ganz ruhig und fest. »Ich habe alles in Frischhaltebehälter gefüllt, beschriftet und ins Eisfach gestellt.«
Sie hat ein wassermelonenfarbenes Kleid an und trägt die Haare offen. Heute sieht sie so jung aus, dass sie fast als meine ältere Schwester durchgehen könnte. Mrs Garrett hat dagegen tiefe Ringe unter den Augen, ist ganz schmal geworden und steht unter ständiger Anspannung. Obwohl ich versuche, bei ihnen zu Hause alles in Schuss zu halten, sieht es von Tag zu Tag unordentlicher aus. Patsy ist quengelig, George überanhänglich, Harry stellt permanent etwas
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