Mein Sommer nebenan (German Edition)
an, Andy und Duff streiten sich nur noch. Jase ist gereizt und wirkt abwesend und Alice ist noch bissiger als sonst. Nebenan ist nichts mehr wie es war. Hier ist alles beim Alten.
»Willst du ein Glas Limonade?«, fragt Mom. »In Gibson’s Feinkostladen gab es neulich Meyer-Zitronen, also hab ich sie zur Abwechslung mal mit denen gemacht. Und ich glaube, so gut wie dieses Mal ist sie mir noch nie gelungen.«
Ganz Inbegriff anmutiger Effizienz und mütterliche Fürsorge schenkt sie mir ein Glas ein.
»Hör auf damit, Mom«, sage ich und setze mich auf einen der Hocker an die Theke.
»Du willst nicht, dass ich dich zu sehr bemuttere, ich weiß. Aber wenn ich sonst während der Sommerferien gearbeitet habe, war Tracy da, um dir Gesellschaft zu leisten. Soll ich dir noch aufschreiben, was alles im Gefrierfach ist? Aber das siehst du dann ja sowieso. Mir ist nur plötzlich klar geworden, wie sehr du im Moment auf dich allein gestellt bist.«
»Oh ja. Du machst dir keine Vorstellung.«
Irgendetwas an meinem Tonfall muss ihr aufgefallen sein, denn sie hält plötzlich inne und wirft mir einen verunsicherten Blick zu. »Wenn diese Wahl vorbei ist, gönnen wir uns einen schönen langen Urlaub. Vielleicht fahren wir auf eine Karibikinsel? Virgin Gorda soll einfach traumhaft sein.«
»Ich fasse es nicht. Bist du jetzt unter die Roboter gegangen, Mom? Wie kannst du nur so tun, als wäre nichts passiert?«
Sie lässt die Frischhaltedose sinken, die sie gerade ins Eisfach stellen wollte. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Von dem, was auf der Uferstraße passiert ist«, sage ich. »Du musst endlich mit der Wahrheit herausrücken.«
Meine Mutter richtet sich langsam auf und sieht mir zum ersten Mal seit Tagen in die Augen. »Er wird wieder gesund werden.« Sie legt einen Deckel auf einen anderen Behälter und schließt ihn. »Ich habe die ganze Geschichte in den Nachrichten verfolgt. Jack Garrett ist noch relativ jung und gut in Form. Es wird vielleicht eine Weile nicht so einfach für die Familie sein, aber er wird wieder auf die Beine kommen. Ganz bestimmt. Letztendlich ist niemand ernsthaft zu Schaden gekommen.«
Ich beuge mich vor und stütze die Hände auf die Arbeitsplatte. »Wie kannst du so etwas nur sagen? Hier geht es nicht um irgendeine … irgendeine Lappalie …« Ich unterstreiche das Wort »Lappalie« mit einer ausholenden Geste und fege dabei aus Versehen die mit Zitronen gefüllte Kristallglasschale von Waterford zu Boden. Sie zerspringt in tausend Scherben und die Zitronen hüpfen durch die ganze Küche.
»Die hat meinen Großeltern gehört«, sagt Mom tonlos. »Bleib, wo du bist. Ich hole den Staubsauger.«
Irgendetwas an dem gewohnten Anblick, wie sie in ihrem Kleid und den hochhackigen Schuhen konzentriert den Staubsauger über den Boden gleiten lässt, bringt mich zum Explodieren. Ich springe vom Hocker und drücke auf den AUS -Schalter.
»Du kannst es nicht einfach wegsaugen und dann vergessen, Mom. Die Garretts haben keine Krankenversicherung. Wusstest du das?«
Sie holt den Mülleimer unter der Spüle hervor, zieht sich Gummihandschuhe an und beginnt, die größeren Glasscherben einzusammeln. »Das ist nicht meine Schuld.«
»Aber es ist deine Schuld, dass es jetzt eine Rolle spielt, dass sie keine haben. Mr Garrett wird noch Monate im Krankenhaus verbringen müssen! Und wer weiß, wie lange die Reha danach dauern wird. Dabei kämpfen sie mit dem Baumarkt jetzt schon ums Überleben.«
»Das hat alles nichts mit mir zu tun. Viele kleine Unternehmen müssen zurzeit um ihre Existenz fürchten, Samantha. Das ist äußerst bedauerlich, und du weißt, dass mir dieses Thema in meinen Reden immer ein besonderes Anliegen ist …«
»In deinen Reden? Willst du mich auf den Arm nehmen?«
Sie zuckt unter meiner lauten Stimme zusammen, dann dreht sie sich um und schaltet den Staubsauger wieder ein.
Ich reiße den Stecker aus der Dose.
»Was ist mit dem, was du uns immer gepredigt hast – dass man sich seiner Verantwortung stellen muss? Hast du überhaupt irgendetwas davon jemals ernst gemeint?«
»Nicht in diesem Ton, Samantha. Ich bin immer noch deine Mutter. Ich stelle mich der Verantwortung, indem ich dort weitermache, wo ich von größerem Nutzen bin. Was haben die Garretts davon, wenn ich aus dem Amt geworfen und vor Gericht gestellt werde? Das bringt nichts und niemandem etwas. Was geschehen ist, ist geschehen.«
»Er hätte sterben können. Was hättest du gemacht, wenn er
Weitere Kostenlose Bücher