Mein Sommer nebenan (German Edition)
ich zum ersten Mal nicht die vertraute Wärme und Leichtigkeit und fühle mich wie eine Verräterin.
Zweiundvierzigstes Kapitel
D a, wo Nan sein sollte, klafft eine große Lücke in meinem Leben. Ich konnte immer zu ihr gehen, ihr alles erzählen und wusste, dass sie mir zuhörte und mir vielleicht sogar helfen konnte, eine Lösung zu finden. Nan hat mich immer verstanden. Sie war immer für mich da. Als ich in weißen Shorts auf dem Tennisplatz stand und das erste Mal überraschend meine Tage bekam, hat sie es vor allen anderen bemerkt, und mich zur Seite genommen, um es mir zu sagen, sodass ich mich unauffällig auf eine Bank setzen und warten konnte, bis sie schnell nach Hause gefahren und mir eine neue Shorts – und einen Tampon – geholt hatte. Ich war für sie da, als Tim – der damals erst zwölf war – das erste Mal völlig betrunken nach Hause kam. Wir haben ihn unter die Dusche gestellt (was nichts nützte), ihm Kaffee gekocht (auch das half nichts), und ihn dann schließlich ins Bett gesteckt, damit er seinen Rausch ausschlafen konnte. Sie stand mir bei, als Tracy heimlich mitten am Tag eine rauschende Grillparty bei uns im Garten gefeiert hat, während Mom auf der Arbeit war. Irgendwann ist sie einfach mit ihrem Freund abgehauen und hat es uns überlassen – wir waren vierzehn – vierzig ältere Jugendliche rauszuwerfen und das Chaos aufzuräumen, bevor Mom nach Hause kam.
Aber jetzt beantwortet sie weder meine SMS noch geht sie ans Handy, wenn ich anrufe, oder meldet sich zurück. Jedes Mal wenn ich im Souvenirshop vorbeischaue, muss sie sich gerade um Kundschaft kümmern oder ist auf dem Weg ins Lager oder zum Mittagessen verabredet oder hat einen Termin beim Chef.
Wie kann es sein, dass unsere Freundschaft und die ganzen zwölf Jahre, die wir uns jetzt schon kennen, einfach so ausradiert werden durch das, was ich gesehen habe? Oder was sie getan hat. Oder was ich über das gesagt habe, was sie getan hat. Und weil ich sie nicht einfach so ziehen lassen kann, auch wenn sie offensichtlich kein Problem damit hat, gebe ich nicht auf und besuche sie nach meiner Schicht am Pool im Shop, wo sie gerade dabei ist, ein Bestellformular auszufüllen.
Als ich meine Hand auf ihre Schulter lege, schüttelt sie sie reflexartig ab, wie ein Pferd, das eine lästige Fliege verscheucht.
»Nan. Nanny . Willst du mich wirklich einfach so aus deinem Leben ekeln. Für immer?«
»Ich habe dir nichts zu sagen.«
»Aber ich habe dir etwas zu sagen. Wir sind Freundinnen seit wir fünf sind. Zählt das denn gar nichts? Hasst du mich auf einmal so sehr?«
»Ich hasse dich nicht.« Einen Moment lang flackert eine Gefühlsregung in Nans Augen auf, die ich nicht deuten kann, dann wendet sie den Blick ab und knallt die Kassenschublade zu. »Ich hasse dich nicht, aber wir sind einfach zu verschieden. Es ist zu anstrengend, mit dir befreundet zu sein.«
Damit habe ich nicht gerechnet. »Zu anstrengend ? Wie meinst du das?« Bin ich möglicherweise zu anspruchsvoll oder fordernd, ohne dass ich es gemerkt habe? Ich krame in meinen Erinnerungen. Habe ich mich zu oft über meine Mutter bei ihr ausgelassen? Habe ich zu viel von Jase erzählt? Oder zu wenig? Aber tief in mir drin weiß ich, dass unsere Freundschaft, was das angeht, vollkommen ausgeglichen gewesen ist. Ich habe ihr stundenlang zugehört, wenn es um Tims Eskapaden ging und kenne jede Wendung in ihrer Beziehung mit Daniel. Ich habe immer ein offenes Ohr für die Probleme mit ihren Eltern gehabt und mir sämtliche Steve-McQueen-Filme mit ihr angesehen, obwohl ich ihre Faszination für ihn nie teilen konnte. Zählt das alles denn gar nichts?
Sie richtet sich auf und sieht mich an, wobei ihre Hände merkwürdig zucken, als wüsste sie nicht, wohin mit ihnen.
»Du siehst toll aus und deine Mutter hat Geld wie Heu. Dein Leben ist perfekt. Du hast einen perfekten Körper und einen perfekten Notendurchschnitt und musst dich dafür noch nicht mal anstrengen«, zischt sie. »Dir fällt alles in den Schoß, Samantha. Michael Kristoff schreibt immer noch Schmachtgedichte über dich. Das weiß ich zufällig genau, weil er in meinem Literaturkurs war. Charley Tyler hält dich für das heißeste Mädchen der Schule und erzählt überall herum, dass er mit dir geschlafen hat. Und jetzt bist du auch noch mit diesem umwerfenden Jase Garrett zusammen, der denkt, du könntest die Sterne vom Himmel holen. Es kotzt mich an. Du kotzt mich an. Ich habe es so satt, immer in deinem
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